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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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der
Stadtgrenze von Berlin einbog, sah sie nervös auf die Zeiger-Uhr am
Armaturenbrett.
    Es würde knapp werden.
    Sie parkte ihren Wagen. Mehr als 15 schwarze, auf Hochglanz
polierte Limousinen nahmen einen Großteil der Fläche des Parkplatzes ein. Die
vollständig in schwarz gekleideten Chauffeure standen lässig neben den Karossen
oder lehnten mit verschränkten Armen an den Kotflügeln der kostspieligen
Fahrzeuge, die einem Staatsmann alle Ehre gemacht hätten. Ob sie Trauer trugen
oder lediglich ihre Dienstbekleidung, war auf den ersten Blick nicht zu
erkennen. Sie unterhielten sich miteinander oder rauchten, oder sie taten
beides gleichzeitig. Aus der Tatsache, dass manche von ihnen ab und zu lachten,
schloss Lisa allerdings, dass sie der traurige Umstand ihrer zufälligen
Zusammenkunft nicht sonderlich berührte.
    Gromek passierte die schmale Einfahrt des Friedhofs. In sicherer
Entfernung parkte er seinen BMW , zog den Zündschlüssel ab und blieb erst
einmal sitzen, um in aller Ruhe die Lage zu sondieren. Erst dann wollte er über
sein weiteres Vorgehen entscheiden.
    Lisa stieg aus dem Volvo . Durch die hellblonde Perücke
wirkte ihre Erscheinung seltsam verändert. Eine modisch-elegant eingefasste
Sonnenbrille sorgte zusätzlich für eine Ausstrahlung, die dazu reizte, das
vermeintliche Geheimnis dieser puppenhaften Person zu erforschen.
    Als Lisa den von einer verwitterten, an einigen Stellen von meterlangen
Rissen durchzogenen Steinmauer umgebenen Friedhof betrat, sprach sie in das
Mikrofon ihrer Kommunikationseinheit:
    »Bin bereit.«
    Sie erhielt keine Antwort.
    Vorbei an einer schmucklosen betongrauen Kapelle mit Totenhaus und
Krematorium, schritt sie auf einen kiesbestreuten Vorplatz zu. Eine windschiefe
Aushangtafel, deren geschmiedeter Eisenfuß in einer verwilderten Grasnarbe
steckte, informierte über die täglichen Beerdigungen. An diesem Tag fanden nur
zwei Bestattungen statt, eine am Vor- und eine am Nachmittag.
    Lisa überquerte den Vorplatz und betrat den Hauptweg des Friedhofs.
Nach etwa 50 Metern verließ sie diesen und bog nach links in einen Nebenweg
ein, der ein leichtes Gefälle aufwies. Der ganze Friedhof lag in einer einzigen
großen Mulde, als befände sich unter ihm ein riesiger erloschener Vulkankrater.
Die Parzellierung der Gräber war aus Lisas Blickwinkel gut zu erkennen.
Zahlreiche, scheinbar wahllos gepflanzte Pappeln und Eiben lockerten die Reißbrett-Präzision
der Anlage auf und verliehen ihr ein parkähnliches Aussehen.
    In einiger Entfernung marschierte eine Trauer-Prozession, die
schätzungsweise 80 Menschen umfasste. Lisa beschleunigte ihren Schritt und fand
bald darauf Anschluss. Niemand aus der Trauergemeinde drehte sich nach ihr um
oder schenkte ihr irgendwelche Aufmerksamkeit. Die Stimmung der Menschen war
gedrückt, die Köpfe der Trauernden gesenkt. Viele der Frauen trugen Hüte mit
Schleier und hatten sich bei ihren männlichen Begleitern eingehakt. An der
Spitze des Trauerzuges, dicht hinter dem blumengeschmückten Eichensarg,
schritt ein Mann, der von drei Leibwächtern umgeben war. Er war eines der
einflussreichsten Oberhäupter einer russischen Mafia-Organisation, die von
Berlin aus den gesamten Ostblock kontrollierte.
    Lisa erkannte ihre Zielperson, ohne zu wissen, wer der Mann war.
Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
    »Bin bereit!« flüsterte sie ein zweites Mal in das Mikrofon ihrer
Kommunikationseinheit.
    »Wir sehen Sie«, erhielt sie zur Antwort. »Wo waren Sie so lange?
Zwei Minuten später, und wir hätten die Operation abbrechen müssen!« Die
ärgerliche Stimme beruhigte sich schlagartig und fuhr in der gewohnten
emotionslosen Weise fort: »Markieren Sie die Zielperson mit dem Stoff, der sich
in dem Container befindet. Achten Sie darauf, dass Sie selbst mit der Substanz
nicht kontaminiert werden. Postieren Sie sich in der Nähe der Witwe, dann haben
Sie einen optimalen Operationsradius. Alles verstanden? Ende.«
    »Alles verstanden. Ende«, erwiderte Lisa. Den Gedanken daran, was
passiert wäre, wenn sie tatsächlich zwei Minuten später gekommen wäre,
verdrängte sie lieber. Er würde sie nur in ihrer Konzentration beeinträchtigen.
    Die Trauergemeinde versammelte sich nach und nach um das frisch
ausgehobene Grab, aus dem ein kräftiger Geruch nach feuchter, fruchtbarer Erde
stieg. Die junge Pfarrerin blickte feierlich in die Runde. Sie wartete, bis
Ruhe eingekehrt war, ehe sie mit klarer Stimme das Gebet zu sprechen begann.
Lisa hatte ihren

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