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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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Zielperson herankommen?«
sprach sie mehr zu sich selbst. Kurzerhand setzte sie der Zielperson nach.
Beinahe wäre sie mit der Pfarrerin zusammengestoßen, während sie im Laufschritt
über gepflegte Gräber stolperte. Lisa unterdrückte ein kurzes, hartes Auflachen
- so fiel wenigstens ihre eigene Verfolgungsjagd nicht auf. Gleichzeitig hoffte
sie inständig, die Leibwächter würden sich nicht nach ihr umsehen. In dem Fall
hätte sie keine Möglichkeit mehr, ihren Auftrag auszuführen, und man würde sie
dafür verantwortlich machen.
    »Lassen Sie sich was einfallen, verdammt noch mal! Das ist jetzt
Ihr Problem! Haben Sie verstanden?« ranzte die Stimme durch den Kopfhörer. Lisa
verdrehte die Augen. »O Wunder aber auch!«
    Die Bodyguards und ihr Schutzbefohlener waren schon auf dem
Hauptweg. Gleich darauf eilten sie über den Vorplatz, vorbei an der
windschiefen Anzeigetafel und auf den Ausgang zu. Lisa war ihnen dicht auf den
Fersen. Nur noch zehn Meter trennten sie von ihrer Zielperson.
    Die Chauffeure auf dem Parkplatz blickten überrascht auf, als sie
den Paten mit seinen Leibwächtern das Begräbnis vorzeitig verlassen sahen. Sie
wurden unruhig, weil ihnen klar war, dass etwas Unvorhergesehenes passiert sein
musste. Einer von ihnen schnippte mit zwei Fingern seine Zigarette weg und
eilte zu einer der Limousinen. Unterwürfig öffnete er die Tür.
    Der Pate war nicht mehr der Jüngste. Er stützte sich an der offenen
Wagentür ab, um einige Sekunden lang heftig zu atmen. Dann entledigte er sich
in einer etwas umständlichen Weise seines Jacketts, während seine Leibwächter
ihn eng abschirmten. Sie waren sichtlich nervös.
    Lisa trat aus dem Friedhofstor.
    Die Zeit wurde knapp. Also schritt sie direkt auf ihre Zielperson
zu. Dabei versuchte sie, sich so elegant und feminin wie möglich zu bewegen, um
die Leibwächter, die sie bereits misstrauisch beäugten, in Sicherheit zu
wiegen. Ihre Stirn wurde feucht. Ihr Mund war wie ausgetrocknet. Sie hatte
keine Ahnung, was genau sie tun oder sagen sollte.
    »Lassen Sie sich etwas einfallen! Sie müssen die Zielperson auf
jeden Fall markieren!« drang es zum wiederholten Mal aus ihrer
Kommunikationseinheit. Am liebsten hätte Lisa sich in diesem Augenblick das
Gerät vom Kopf gerissen, es mit beiden Händen verknickt und dann einfach
weggeworfen, doch das wäre unprofessionell gewesen.
    Stattdessen trat sie an ihre Zielperson heran und lächelte. Der
Pate wollte sich gerade in den Fond des Wagens setzen, blieb bei Lisas Anblick
aber stehen. Sie versuchte, sich ein Bild von ihm zu machen. Auf den ersten
Blick wirkte er verbittert und verschlossen. Trotzdem hatte sie den Eindruck,
einen echten Gentleman vor sich zu haben.
    »Darf ich Ihnen sagen, dass mir der Vorfall von eben sehr leid
tut.«
    Lisa gab ihrer Stimme einen weichen, bedauernden Ton. Die
Leibwächter musterten sie aufmerksam, schöpften aber anscheinend noch keinen
Verdacht. Der Pate hingegen wandte sich ihr mit versteinertem Gesicht zu.
    Das war der Moment, auf den sie gewartet hatte.
    Mit einem Druck auf den Sprühknopf der Lippenstiftattrappe sprühte
Lisa die Markierungssubstanz auf eines der Hosenbeine ihres Gegenübers, während
sie einen großen, sanften Blick in sein Gesicht warf.
    »Es muss sehr schwer für Sie sein, ihn ... verloren zu haben«,
äußerte sie auf gut Glück.
    Innerlich atmete sie auf.
    »Geschafft!« dachte sie, während der Pate sie mit traurigen Augen
betrachtete. Von der Markierung schien er zwar nichts bemerkt zu haben, dennoch
wirkte er jetzt misstrauisch.
    In dem Moment erhielt Lisa eine neue Mitteilung: »Wir schicken
Ihnen einen Wagen. Nur für alle Fälle. Beeilen Sie sich!«
    Der Pate sah Lisa unverwandt an. Dann stellte er ihr eine Frage,
aber da der Mann Russisch sprach, verstand sie ihn nicht. Sie lächelte - eine
Spur zu lang - und machte einen Schritt zurück. Dann einen zweiten.
    »Es ... es tut mir wirklich sehr leid. So hätte es ... nicht enden
dürfen. Ich ... ich muss jetzt gehen.«
    Lisa drehte sich auf dem Absatz um und steuerte ihren Volvo an. Sahen die Russen sie in einem Wagen vom Team wegfahren, würden sie auf
jeden Fall Verdacht schöpfen. Doch bis zu dem Zeitpunkt musste sie ihre Tarnung
aufrechterhalten, und vielleicht würde sie den Wagen vom Team auch gar nicht
brauchen. Der Pate redete weiter. Lisa verstand noch immer kein Wort. Gab er
seinen Leibwächtern bereits Anweisungen? Über die linke Schulter sah sie, wie
die beiden Männer ihr folgten.

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