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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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Gruppen und Grüppchen standen sie sektglasschwenkend
beieinander und unterhielten sich über alles und nichts. Die Damen trugen
Abendkleid, die Herren Smoking. Eine kleine Combo spielte eingängige Tanzmusik.
Dabei gelang es den Musikern kaum, das allgemeine Stimmengewirr mit ihren
Instrumenten auch nur in einem der drei Säle zu übertönen. Ein Großteil der
geladenen Gäste gehörte zur Berliner Polit-Schickeria und war auf jeder
offiziellen Festivität anzutreffen, die einigermaßen von Bedeutung war - was
auf diese Feierlichkeit in ganz besonderem Maße zutraf: Anlässlich der
Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an herausragende Mitbürgerinnen und
-bürger des Landes würde Bundesinnenminister Dr. Hubertus Steinhammer
persönlich die Ansprache halten und anschließend die Auszeichnungen vergeben.
    Nur die Ordensempfänger selbst standen etwas abseits und schienen,
obwohl sie von einer Protokollbeamtin des Innenministeriums und deren
Mitarbeitern vorbildlich betreut wurden, irgendwie fehl am Platze zu sein. Ihre
einmal bewiesene Zivilcourage nützte ihnen an diesem Abend überhaupt nichts.
Die etablierten Damen und Herren, gestandene Small-Talk-Profis und darin
geübt, in der Warteschlange vor dem Buffet unverbindlich mit dem Vorder- und
dem Hintermann gleichzeitig zu parlieren, blieben lieber unter sich.
    Inmitten dieser Gesellschaft bewegte sich ein einzelner untersetzter
Mann, still und misstrauisch wie eine Bulldogge. Er hatte einen breiten
Stiernacken, eine krumme, eingedrückte Nase und kleine, wache, eng
beieinanderliegende Augen. Obwohl er einen Smoking trug, machte er nicht den
Eindruck, als würde er dazugehören. Zu seiner Profession gehörte auch nicht die
unverbindliche Konversation, sondern die verantwortungsvolle Aufgabe, zusammen
mit den ihm untergebenen Mitarbeitern für die Sicherheit des Innenministers zu
sorgen.
    Ein junger, hochgewachsener BKA-Beamter, der seine
Zusatzausbildung zum Personenschützer erst vor kurzem beendet hatte,
schlängelte sich an den Gästen vorbei und näherte sich respektvoll seinem
Vorgesetzten.
    »Herr Platzynski, Verzeihung. Die Torwache meldet zwei Sektion-4 -Agenten
in dienstlicher Angelegenheit.«
    Ohne erkennbare Regung griff der Angesprochene nach dem Funkgerät,
das ihm sein unsicher wirkender Mitarbeiter reichte.
    »Ja? - ... - Geht in Ordnung.- ... - Ende.«
     
    Auf dem Parkplatz vor dem Herrenhaus saßen Lisa und Gromek nach
wie vor in dem Japaner und warteten. Um sich von der Frage abzulenken, ob man
sie erst noch in das Gebäude lassen oder gleich verhaften und beiseiteschaffen
würde, verstellte Gromek die Position des Seitenspiegels und justierte ihn zum
wiederholten Male. Dabei orientierte er sich an einer hölzernen Fahnenstange,
die hinter ihm mitten auf einer frischgemähten Rasenfläche in einem Betonkegel
steckte. Die schwarz-rot-goldene Flagge mit dem Bundesadler in der Mitte, die
schlaff von ihrem Mast hing, zeigte an, dass ein Mitglied der Bundesregierung
anwesend war.
    Plötzlich drehte sich Lisa in seine Richtung.
    »Wir sind Relikte«, sagte sie unvermittelt.
    Gromek sah sie verwundert von der Seite an: »Was? Was hast Du
gerade gesagt?«
    »Relikte«, wiederholte sie fatalistisch. »Überbleibsel aus einer
vergangenen Zeit. Nicht nur die Uhr von Direktor von Eckersdorff ist abgelaufen.
Auch Du und ich gehören der Vergangenheit an. Wir sind so etwas wie die
personifizierte, vom Staat legitimierte Verantwortungslosigkeit.«
    »Meinst Du nicht, dass wir beschäftigt genug sind heute Abend? Musst
Du ausgerechnet jetzt auch noch philosophisch werden?!« protestierte Gromek,
der im Augenblick nicht die Nerven dafür hatte, sich über irgendetwas anderes
Gedanken zu machen als über das Naheliegende. Und das war einzig und allein die
Frage, ob und wie es ihm und Lisa gelingen würde, Innenminister Hubertus Steinhammer
lebend zu erreichen und von ihrem Anliegen zu überzeugen.
    »Gut. Dann erkläre mir doch mal, welche Berechtigung ein Geheimdienst
wie die Sektion-4 noch hat, weiterhin für unseren Staat zu
operieren, wenn ein Mann wie Herrmann von Eckersdorff an seine Spitze gelangen
konnte. Was ist, wenn wir nicht der erste Fall dieser Art sind? Wenn dieser
Mann über Jahre hinweg völlig unkontrolliert seinen zweifelhaften
Machenschaften nachgehen durfte? Der Kalte Krieg zwischen Ost und West, in dem
es vielleicht mehr oder weniger zwangsläufig zu moralischen und ethischen
Fehlleistungen kommen musste, ist lange vorbei. Eine traurige

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