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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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ihn hatte die Mutter den Tauchsieder angeschafft, damit er sich auf dem Zimmer Kaffee zubereiten konnte oder Tee. Und sie brachte ihm einmal in der Woche frische Handtücher hinauf. Von allen Mietern war ausgerechnet Simon am kürzesten geblieben. Im Spätsommer hatte er das Zimmer verlassen, kurz nach Ferienende, das wusste Schramm noch. Auf das Genaueste erinnerte er den Tag, an dem Simon mit seinem Koffer in die Küche getreten war. Aber der Bruder wusste nichts davon. Er hatte die Mutter nicht nicken sehen zu der Ankündigung Simons, nicht gesehen, wie sie das Geld zählte, das Simon ihr, für den vollen verbleibenden Monat, in einem Umschlag überreicht hatte.
    Nicht was er, sondern wie der andere es sagte, war der Grund für ihre Entzweiungen, dachte Schramm, und dann gleich, dass man das eine nicht vom anderen trennen konnte. Nicht einmal ein Beispiel nennen konnte er, nicht an etwas Einzelnem aufzeigen, wie der Bruder in allem Gesagten immer noch auf etwas anderes, hinter dem Gesagten Verborgenes anspielte, und wahrscheinlich war es dem Bruder nicht einmal selbst ganz bewusst.

E ng wurde es und etwas mühsam, wenn er vorgerückt war zur senkrecht an die Rampe sich anschließenden Wand. Auf Knien, die linke Schulter am Klinkerstein, das rechte Bein abgespreizt, stemmte er sich gegen das Mauerwerk. Sehr lang hielte das keiner aus, aber hier ging es um die kurze Strecke, vergleichbar dem Radfahren steil bergan, auf wenige Meter gepresste Anspannung. Nur regelmäßig die Haltung ändern musste er, die Haltung und das Tempo, und durfte dabei nicht den Blick aufs Ganze verlieren. Schon einmal hatte er sich bei einer Arbeit die Knie blutig gerieben. Derart versunken, dass er den Schmerz erst spürte, als er die dunklen Flecken an beiden Hosenbeinen sah, den schwärzlich getränkten, an den Wunden haftenden Stoff, der sich nur mit Mühe lösen ließ. In Zukunft musste er vorsichtiger sein.
     
    Genügend Leute meinen, ein Lehrer arbeite nur den halben Tag, drei Monate im Jahr habe er frei. Sie wissen nicht, was anfällt, wenn einer seine Aufgabe ernst nimmt. Schramm hatte nicht Lehrer werden wollen, er hatte, wie viele, einmal etwas anderes geplant, doch muss das nicht die Sorgfalt beschränken, mit der man vorgeht. Weder in der Schule, noch irgendwo sonst. Natürlich waren andere mit ihren Giftspritzen und Flammdüsen schneller am Ziel. Schon oft hatte Schramm sich angesehen, wie Klaußner die Gasflasche auf seinen Schultern festschnallte, den Abflämmer in beiden Händen vor sich her trug. Einen etwa meterlangen, am Griffende stumpf abgewinkelten Apparat, vorn verjüngt zum stählernen Lauf. Hitze stieß aus der Düse hervor und brannte jeglichen Wuchs nieder, die Wurzeln blieben dabei unversehrt, von der verbleibenden Asche nährten sie sich noch. Wenigstens ein Eimer Wasser hätte bereitstehen müssen, besser ein Schlauch. Zu leicht verblieb ein Glutnest im trockenen Unterholz, auf dem erhitzten Stein. Schon Funkenflug genügte, schlimmen Schaden anzurichten. Woran es den Menschen fehlt, ist Vorstellungskraft. Doch darüber ereiferte Schramm sich nicht mehr.
    In den großen Ferien war er zuständig gewesen, den Stundenplan zu erstellen für das kommende Jahr, es waren dazu gewisse Fähigkeiten im Denken nötig. Es kam zu Engpässen, wenn es um die Verteilung der Klassen auf die Räume ging. Er brauchte keine Skizzen, er hatte die Schritte im Kopf. Eine knappe Woche mindestens konnte das in Anspruch nehmen, die Vorbereitungen kamen hinzu. Er war die Lehrpläne und die Stunden durchgegangen, hatte sich die Sätze vorgesprochen, die zu bestimmten Teilgebieten zu sagen sind, in Gedanken die Apparate aufgebaut, die er zur Vorführung seiner Versuche brauchte. Nichts davon war umsonst. Nie hatte er im laufenden Vortrag auf Notizen zurückgreifen müssen, nie einen Fehler gemacht. Kaum, dass er einmal ins Stocken geraten wäre.
    Was wir im Alltag als Gewicht bezeichnen, gibt es im physikalischen Sinne nicht. Korrekt gesagt, sprechen wir von Masse. Die Physik betrachtet alle Dinge als Körper, einschließlich der uns umgebenden Luft. Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte zu einer Änderung gezwungen wird. Der Widerstand gegen eine Zustandsänderung fällt stärker aus oder schwächer, je nachdem, wo ein Körper sich befindet. Wer kann ein Beispiel nennen.
    Ob einen das nicht schier in den Wahnsinn treibe, muss ein Lehrer sich fragen

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