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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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ist richtig, dass er große Stücke auf seine Fähigkeiten hielt. Wahrscheinlich als Erster und Einziger hatte er die Fähigkeiten Waidschmidts richtig zu beurteilen gewusst. Alle anderen schätzten ihn entweder zu hoch oder zu niedrig ein. Für einen kleinen Ehrgeizling hielten sie ihn oder für ein Genie, einen genialen Geist oder einen jämmerlichen Streber. Nichts davon traf den Kern. Ein mit einigen Tics und Marotten ausgestatteter Junge, einer wie viele, mit seiner Eitelkeit, seinem Zweifel und seinem Zorn. Und es war nicht eine außergewöhnliche Gabe, nicht ein Geheimnis, es waren diese Marotten, mit denen er, von Anfang an, nicht nur den unter Vierzehnjährigen üblichen und in Maßen gesunden Spott auf sich gezogen hatte, sondern bald ihre Verachtung und schließlich ihren Hass.
    Klüger als die meisten war er, es fiel ihm scheinbar alles leicht. Das Deutsche hatte er innerhalb von Wochen gelernt, nachdem er als Sechsjähriger aus Kirgisien gekommen war. Im Auffanglager schon habe er es sich mit Hilfe eines Buches selbst beigebracht. Diese Geschichte hatte er Schramm einmal erzählt, Lob aber abgewehrt: Es ist nicht kompliziert, wenn man Zeit dazu hat, sagte er, plötzlich traurig geworden. Prahlerei konnte ihm keiner vorwerfen. Doch seine zur Schau gestellte Schläfrigkeit reichte hin. Wenn er eine Stillarbeit früher als alle anderen beendet hatte und träumend aus dem Fenster sah. Eine wahrscheinlich unabsichtliche Überheblichkeit, gerade die schuldlose kann aber die schlimmste Arroganz sein; Gleichaltrige haben dafür das feinste Gespür. Aber es war falsch, sich in die Belange der Kinder einzumischen. Im Fall Waidschmidts nicht nur falsch, im Fall Waidschmidts war es ganz und gar unnötig.
    Schramm wusste, dass sie ihre Nachmittage, ganze Nächte vor dem Computer verbrachten, Nachrichten und Bilder empfingen von überall her, doch stand die darum herrschende Aufregung in keinem Verhältnis dazu. Von einigen und insbesondere den älteren unter den Kollegen war er verlacht, von anderen sogar angegangen worden, weil er sich geweigert hatte, es aufzunehmen in seinen Unterricht. So alt sei er doch gar nicht. Aber damit hatte sein Zweifel nichts zu tun. Von Revolution wurde geredet, wo noch lang keine Umwälzung vollzogen worden, nur etwas aufgepufft war. Getöse, das sich mit der Gewohnheit und wenn man seine Grenzen erkannt hätte, legen würde. Für das, was er ihnen beibringen wollte, brauchte er es nicht, es fand sich zu viel Fehlerhaftes, Unvollständiges darin.
    Bis zum Schluss hatte Waidschmidt deutlich gemacht, dass er auf die Meinung der anderen so viel nicht gab. Ich verachte sie, sagte er, als Schramm ihn zu den Bildern befragte, wer die Sache zu verantworten habe. Solcher Verachtung war schwer etwas entgegenzuhalten. Larven, sagte Waidschmidt, sie führen eine Larvenexistenz, sie fressen, was man ihnen vorsetzt und wollen immer gerade eben so viel, nichts darüber hinaus.

F ür den Nachmittag hatte der Bruder sich angekündigt, nicht ausgeschlossen, dass es Abend würde. Wahrscheinlich bald einmal anrufen würde er, eine Verzögerung ankündigen. So oder so, das wusste Schramm, finge bald das Warten an, säße er da, horchte auf bei jedem Motor, der sich der Siedlung näherte, bei jeder zugeschlagenen Wagentür. Und zu Störungen käme es bereits früher. Spätestens gegen halb zehn wäre das Geschrei aus dem nahe gelegenen Waldbad zu hören, davon abgesetzt, die Ansagen des Bademeisters, deutlich genug, dass man, wenn man sich konzentrierte, von der Siedlung aus jedes Wort verstehen konnte, wenn er das Zehnmeterbrett sperrte, freigab, das Essen in Beckennähe verbot, letzte Verwarnungen aussprach.
    Vorläufig war es dafür zu früh, zu früh und zu kühl. Die Tagfalter flogen träge auf. Steif gebremst taumelten sie in der eben erst trocknenden, eben sich aufheizenden Luft über der Grasböschung umher, so langsam, dass man nah herangehen, ihre Zeichnungsmuster ansehen konnte und ihre Fühlerform. Nur das Mädchen von nebenan war auf den Beinen und mit ihr der Hund, ein breitschädliger Labrador. Wenn sie zu ihrem Dauerlauf aufbrach, drehte sie sich nach ihm um, schnalzte und murmelte mit dem Tier und schaute über den schwarzen Rücken hinweg, zu Schramm die Senke hinab. Eine für beide gerade eben noch tragbare Andeutung von Gruß und Gegengruß. Und er sah ihr nach, wenn sie bergan trabte, nach Atem schnappte, die Ellbogen spitzwinkelte, mit pumpenden Armen. Der Hund blieb stehen, Pfote

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