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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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Lachen, doch die Mutter nahm seine Witze im Unguten und beide fingen zu keifen an.
    Nur den Platz des Ohrensessels zu verändern, kam ihr niemals in den Sinn. Alles wirbelte, der Ohrensessel blieb an seinem angestammten Platz, und noch nachdem dem Vater etwas zugestoßen war, rührte sie sein Liebstes und Teuerstes nicht an.
     
    Bei einem seiner letzten Besuche, es war noch nicht lange her, hatte Schramm den Bruder im Keller angetroffen. Einmal müssen wir doch damit anfangen, sagte Viktor. Ungeordnet lagen in den Kisten die Geräte des Vaters übereinander. Seine Fiepblattern und Wachtellocken, die Putzstöcke und der Hirschruf, darüber verstreut, in seine Härchen aufgetrenntes Reinigungswerg. Die Leine des Hundes und, kopfüber, sein silberner Trinknapf. Schwanenhälse, die Bügelfallen, mit denen der Vater sich bemüht hatte, der Frettchenplage Herr zu werden. Was willst denn du damit noch anfangen, fragte der Bruder. Er wartete nicht auf eine Antwort, er räumte immer noch fort. Er lässt nicht mit sich reden, sagte er später zu der Frau, einmal, sagte der Bruder, wird es wegmüssen, aber reden kann man mit ihm darüber nicht.
    Es ließ sich nicht miteinander reden, dachte Schramm. Und war es nicht so, dass es immer ein Ereignis geben musste, einen Grund, weshalb die Dinge waren, wie sie waren. Stattdessen dieses Hinüberschleichen, vom einen Zustand in einen anderen, so langsam, dass einer es erst wahrnimmt, wenn der kritische Punkt längst erreicht ist.
    Zum Beispiel das eine Mal, als er mit dem Bruder hatte sprechen wollen. Im Adler, wie der jugoslawische Wirt sein zwischen Gymnasium und Ostbahnhof, in ein Gässchen an der Stadtrückseite gezwängtes Lokal genannt hatte. Immer nur im Adler, immer nur mittags waren sie zusammengekommen, nie in einer anderen Kneipe, schon gar nicht abends, nie waren sie dort trinken gegangen, wo Viktor wohnte und wo er seine Freunde traf. Schramm wusste, genau genommen, nicht einmal, hatte der Bruder Freunde, hatte er keine. Das Private, das hatte sich nicht geändert, blieb außen vor, und wenn er es doch einmal darauf bringen wollte, verstand der andere nicht, was er meinte, er hörte ihm nicht einmal zu.
    Ich weiß nicht, was du hast, mehr war ihm nicht eingefallen, nachdem Schramm ihm lang und breit, viel zu ausführlich, wie er später dachte, berichtet hatte von einer ungeklärten Situation. Er hatte es zu erklären versucht, dachte Schramm, erklärt, was in der Schule vorgefallen war, was noch folgen konnte und wie er nicht fertig wurde damit. Eben erst angefangen als Referendar. Aber je gründlicher er beschrieb, und nur damit der andere verstand, dicker auftrug, desto lächerlicher kam ihm die ganze Angelegenheit vor, bis er sich schließlich selbst ganz unerträglich geworden war.

E r hatte beim Nahkauf Nüsse besorgt für den Besuch und andere Knabbereien, er würde einen Wein öffnen, fehlen sollte es an nichts. Bis spät würden sie sitzen und nicht schlafen wollen, im Wohnzimmer an dem gläsernen Couchtisch. Einer von beiden im Ohrensessel an der Stirnseite des Zimmers, unter dem Stich einer Kirche mit Landschaft. Allein der Vater hatte auf diesen Platz ein Anrecht gehabt. Bis heute nichts an Macht verloren hatte das Wissen um diese Regel. Nichts verändert, wenn sie vor der Sitzgruppe standen und Atem holten, bevor der Kühnere zwischen die Armlehnen fiel, mit eingesunkenen Schultern und galligem Blick die Vaterhaltung einnahm.
    Welche Wonne ihnen dieses Spiel in der Kindheit bereitet hatte, welche Wonne und welche Angst. Selbst wenn sie ganz genau gewusst hatten, erst Stunden später würde er zurückkehren, selbst dann hatten sie sich mindestens ebenso sehr gefürchtet, erinnerten sie sich und mussten lachen beim Gedanken an diese kindliche Furcht, die nichts an Wucht verloren hatte, nachdem der Vater verunglückt war.
    Der Platz im Sessel war dem Vater lieb und teuer gewesen. Ganze Stunden hatte er dort zubringen können ohne jede Tätigkeit. Hinter zugezogenen Wollvorhängen saß er da und zupfte an seinen Hosenbeinen herum. Leicht zu lesen sind solche Zeichen, jedes Kind hätte begriffen, dass dieser Vater keine Störung brauchen konnte.
    Das Theater, sagte der Bruder, wenn der Vater sein Herz spürte. Wie er im einen Moment die Gabel in die Kartoffeln stieß, im nächsten sich an die Kehle fasste und nach seinen Tabletten plärrte. Vom einen Arzt zum anderen war der Vater gegangen, keiner hatte etwas Ernsthaftes festgestellt, doch wollte er sich als

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