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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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unklar.
    Manchmal wachte er nachts auf, von Bedenken geplagt. Wie es werden würde, falls es einmal nicht mehr ginge allein. Ob es jemanden gäbe, der dann, und sei es halbstundenweise, täglich, zuständig wäre. Und wie das Vorgehen geordnet würde, ob man zu wählen hätte, im Zweifel einfach zugeteilt würde oder sich um alles selbst kümmern müsste, und wer andernfalls für einen die Entscheidungen traf. Doch machte er, nachts nicht und jetzt nicht, bei keiner dieser Fragen lange genug Halt, um über die Idee hinaus zur Vorstellung zu kommen, und schließlich hatte es keinen Wert, ins Leere zu spekulieren, vor der Zeit.
    Sie sehen nicht gut aus, hatte Frau Waidschmidt gesagt, das eine Mal, als sie zu ihm in die Sprechstunde gekommen war. Absicht und Tadel noch in dieser doch anteilnehmenden Äußerung. Aber dabei war es geblieben, und wenn der Junge eben in der Zeit unangenehm aufgefallen war, so war der Fehler nicht bei Schramm zu suchen, Schramm hatte diesen Schüler wie jeden anderen als Aufgabe gesehen, er hatte die Aufgabe, so gut er konnte, erfüllt.

M ein Bruder, der Lehrer, so stellte Viktor ihn seinen neuen Freundinnen gegenüber stets vor. Physik, Mathematik und Erdkunde, ausgerechnet, lachten sie auf, und während sie sich noch entschuldigten, rechtfertigte Schramm schon. Es ist eine Arbeit wie jede, es gibt weiß Gott schönere! Es entscheidet nicht immer, wie es einem gefällt, sagte Schramm. Und versuchte, ein Bild zu korrigieren, das doch längst in der Welt war, vom Lehrer als Opfer der Verhältnisse, das einer Jugend ohne Gott nichts entgegenzusetzen hat. Dabei wusste er selbst, dass sein Sträuben und alle vernünftigen Beweise im Grunde genommen wertlos waren, weil die herrschende Meinung aus gutem Grund die herrschende bleibt, sie weiß, wie sie die Fakten ordnen muss, damit sie am Ende als Wahrheit dasteht.
    Der Lehrer wird als Drückeberger beleidigt oder als Beinaheheiliger überhöht, immer nur das eine oder das andere, und keiner bleibt bei den Tatsachen, weder was den Stand der Lehrer noch was die Person Schramms betrifft. Entweder zu gering oder zu hoch eingeschätzt wird der eine wie der andere, für Eigenschaften oder Taten, die es so, wie sie erzählt werden, nie gegeben hat, doch bei einem wie Schramm muss das wohl so sein. Erlebt man doch bei ihm wenig von dem, was sonst den Menschen zum Menschen macht, fällt es den allermeisten demnach schwer, sich in ihn hinein oder wenigstens mit ihm zu fühlen, hat er nämlich beim ungenauen Hinsehen nicht einen einzigen liebenswerten Zug. Wenig lässt erkennen, dass er wie alle anderen von Appetit gelenkt wird und von Begehren, von Liebe und Hass, leicht ist es zu erzählen, er hätte in der Jugend nie ein Mädchen gehabt, vielleicht schon als Kind nicht einen einzigen Freund.
     
    Ende der Schonfrist, hatte Schramm gesagt, wenn er einen ausgedeutet hatte, an der Tafel eine Rechnung durchzuführen. Es muss einen Weg geben, festzustellen, ob der Schüler die gestellte Aufgabe aus eigener Kraft lösen kann. Das galt für Waidschmidt wie für jeden anderen auch. Du hast es wohl nicht nötig, hätte man zu ihm sagen können, wenn er am Rand des Raumes über seinen Rechnungen saß. Dann und wann ein Lächeln; ganz ohne einen äußeren Grund schickte er es über die Reihen zu Schramm hin, unmöglich zu sagen, ob er damit eine Verbundenheit andeuten oder sich nur lustig machen wollte.
    Wie Waidschmidt vor der Klasse gestanden hatte. Anscheinend nicht in der Lage, die Rechnung durchzuführen. So dicht vor der Tafel, dass er das Angeschriebene niemals ganz überblicken konnte. Nur Schramm hatte die schrägen Strahlen der tief stehenden Sonne dem Jungen von draußen ins Gesicht fallen sehen, dass der bockig das Gesicht verzog. Ganz ohne Bewegung stand Waidschmidt, den Arm zur Seite erhoben, angewinkelt, als säße ihm die fehlende Formel doch in der Hand. Im ausrasierten Nacken schimmerte unter blonden Stoppeln die Haut. Schramm wusste später nicht mehr zu sagen, wie lange, ob für Minuten, oder länger, der Junge dort gestanden, heftig geblinzelt hatte, während die Eifrigen in der Klasse den Arm hoben, mit den Fingern schnipsten, weil sie die Lösung kannten. Stetig heftiger geworden war das Zittern in Waidschmidts rechter Hand, bis man bei aller Liebe kaum mehr von Zittern sprechen konnte, es ausgeartet war in einen regelrechten Krampf. Noch die Letzten in der Klasse hatten mit dem Schnipsen aufgehört, ehe Schramm sich zu Waidschmidt wandte,

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