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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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einen kranken Mann begreifen, so sah es der Bruder und Schramm musste ihm beipflichten, wenn er den Vater lächerlich nannte, einen zutiefst lächerlichen Menschen.
    Dabei war er in seiner Lächerlichkeit auch ein ernsthafter Mensch gewesen, einer, der liebte, was er tat, und, wie Schramm jetzt immer besser verstand, ehrte. Den Sport, das Schwimmen und die Jagd, den Wald und die Musik, speziell das Kunstlied. Das Kunstlied liebte der Vater heiß und innig, das Kunstlied hielt der Vater für die höchste und feinste aller Gattungen. Von der Oper dagegen hielt er nichts, nichts lächerlicher, sagte er, als diese verfetteten Diven und Gecken mit ihren geschminkten Gesichtern auf der Bühne.
    In wie viel grauen Stunden half der Vater sich mit der Musik. Kein Geheimnis, dass er, wären die Umstände andere gewesen, selbst Musiker geworden wäre, anstelle des aus einer Not heraus ergriffenen Berufs. So eine Kränkung dauert natürlich ein Leben an, auf diese Kränkung vergaß der Vater niemals hinzuweisen, nur am Rande, fügte er hinzu, indem er den Kopf drehte, prüfend, ob sein Hinweis überhört worden war.
    Wenn er gut aufgelegt war, hatte der Vater ihnen nach dem Abendbrot vorgesungen, daran erinnerten sie sich mit gleichem Vergnügen. Nur am Rande, würde einer von ihnen kichern, und gemeinsam würden sie anheben, die Lieder des Vaters nachzusingen, eins nach dem andern, seine Abschieds- und Zigeunerweisen, seinen Schwanengesang. Schon scharret mein Rösslein mit lustigem Fuß. Einer von ihnen, wahrscheinlich der Bruder, sänge im dünnen Vatertenor dieses Lied: jetzt nimm noch den letzten, den scheidenden Gruß. Im Stehen sänge er, mit der Hand einen Kreis zeichnend, den Blick fest nach vorn gerichtet, auf den gläsernen Couchtisch, den Fernsehzeitschriftenstoß, die obenauf liegende Dunkelhaarige, die schmal und entschlossen den Blick erwiderte, eine silbrige Draperie um ihren Leib geschlungen.
     
    Ein Bruder bleibt ein Bruder, und einmal würde Schramm mit ihm besprechen müssen, wie es um ihn stand. Die Ärzte hatten ihm nichts raten können, sie hatten nicht einmal etwas festgestellt. Ein Bruder kann einmal die letzte Hoffnung sein, an ihn wendet man sich, wenn man nicht mehr aus noch ein weiß. Und auch wenn es nicht zum Schlimmsten gekommen war, ganz abgeklungen waren die Beschwerden nie. Noch immer das Sausen im Ohr. Schramm gehörte nicht zu denen, die daraus große Geschichten machen. Aber keiner hat dies Ungefähre gern, diese dauernde Unruhe. Wenn er nachts aufwachte, sah er sich schon liegen, hingestürzt neben dem Telefon, es wäre ihm nicht mehr zu helfen.
    Auf den Abbildungen, die man im Kreiskrankenhaus von Schramms Kopfinnern angefertigt hatte, war nichts Bedenkliches zu erkennen gewesen. An die Form konnte er sich erinnern und dass er, was er sah, nicht in Verbindung hatte bringen können mit sich: die symmetrische Form, Furchen und Lappen, umrandet von einem weißen Oval, klar konturiert, aufdringlich hervortretend auf dem ansonsten dunkel bläulichen Grund.
    An den Kalkschwamm musste er denken, den er auf der griechischen Insel gefunden hatte. Vermutlich Stunden zuvor an die Felsenküste gespült, hatte er in einer Umrandung aus salzig getrocknetem Schaum, verkrustet, rau zu Schramms Füßen gelegen. Wie das einmal gelebt haben sollte, musste man erst lernen, wie es sich von Schwebstoffen und Kleinlebewesen ernährte, feindlos an einer untermeerischen Höhlenwand festsitzend, das Wasser unablässig in seinen Körper hineinpumpte und wieder hinaus. Ein Strudeln und Filtern, unausgesetzte Bewegung war durch diesen Organismus geströmt, bevor er als gelbgebleichtes Skelett auf dem Stein trocknete. Der Geruch ähnelte dem Atem eines alten Menschen, an diesen Gestank erinnerte er sich genau und wie er den Schwamm, nachdem er ihn berochen, dicht an sein Gesicht gehalten, von sich geworfen hatte, zurück ins südliche Meer.
    Ob Viktor die kleine Frau dabei hätte. Schramm dachte an ihren letzten Besuch. Und wie sie aus einer Unterhaltung heraus aufgestanden, ohne Schuhe im Raum herumgegangen war, auf flachen Füßen, die Fersen fest aufsetzend, mit ausgreifenden Zehen, achtlos sicher zum Vitrinenschrank getreten war: Darf ich. Aber schon im Fragen die Antwort gewusst hatte sie, dachte Schramm, schon an der Glastür hantiert und sich gestreckt nach den auf dem obersten Bord aufbewahrten Likörschalen, um ihnen einzugießen, als wäre man nun von ihr eingeladen, bloß noch zu Gast. Wohlsein! hatte sie

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