Große Ferien
musste grinsen. Genug, zusammen die Pfarrergesten und Pfarrerworte aufzusagen, sich auszumalen, wie die Mutter diesen Schmonzes abgetan hätte: Zusammen hätte man darüber laut gelacht.
Der Pfarrer war lang geblieben, länger als angebracht hatte er gesessen, sein Untertässchen im Schoß gehalten, allerdings während seines gesamten Besuchs nichts notiert, nichts von dem, was Schramm ihm erzählte über die Mutter und wie sie ihr Leben zu führen versucht hatte. Das Klagen, es ist aus der Mode gekommen, sagte der Pfarrer beim Abschied und wickelte das Kettenschloss eng um die Sattelstange. Eben nicht, sagte Schramm. Er schüttelte noch den Kopf, da fuhr der Pfarrer schon, auf den Pedalen stehend, bergab, beschleunigte, dass der Talar sich in seinem Rücken zum schwarzen Segel blähte.
Es ist ja keine große Sache, hatte der Bruder am Telefon gesagt, du wirst es schon machen, geschmeichelt und Schramm sämtliche Erledigungen überlassen. Nicht wenig, was anfällt, wenn ein Mensch verstirbt. Einen großen Betrag überwiesen hatte er, du wirst doch verstehen, gesagt, dass ich jetzt unmöglich von hier fort kann, und du weißt, mit Geistlichen habe ich noch nie gut gekonnt.
Zur Trauerfeier angereist war er jedenfalls und saß, im schwarzen Hemd, auf dem ersten Platz beim Mittelgang, sein Haar ein sonnendurchschienener Kranz. Obwohl er die Lieder nicht kannte, sang er sie, laut und mit weit geöffnetem Mund. Und wenn er dem Pfarrer zuhörte, legte er seine Hände ineinander und den Kopf ein wenig schief; nichts, was sich regte in seiner Trauermiene, wenn der Pfarrer in seiner Predigt etwas durcheinanderbrachte.
Schramm sah und hörte damals gut, wie Frau Sturm und Frau Marquard flüsterten und hinübersahen. Absichtlich laut, scheinbar beiläufig fuhren sie beim Kaffee fort, über die Kleidung zu sprechen, die die Mutter zuletzt getragen hatte. Nicht mehr ihre Kleidung, sondern irgendeine Altenheimkleidung, aus zweiter, dritter, vierter Hand. Was eben aufzutragen war, aus dem Nachlassraum, geknöpft bis an den Hals, und in ihrem Haar klemmten Spangen. Aber das war nicht Schramms Einfall gewesen. Er hatte häufig genug nach ihr gesehen. Zweimal pro Woche hatte er sie im Stift abgeholt, ins Hallenbad gebracht und von der Cafeteria aus die lamellengeplusterten Hauben schweben sehen, aufrecht aus dem Wasser gereckt, in geraden Bahnen über den blau und schwarz gefliesten Grund.
Dies eine Mal hatte Viktor die Dinge in die Hand genommen. Eingefädelt, konnte man sagen, hatte er es, leichtfüßig und elegant, ein paar Anrufe von der Stadt aus erledigt, weil er nicht erst anreisen musste, um zu erkennen, dass der Zustand nicht mehr tragbar war. Ein geschicktes Vorgehen. Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, mit einem Verband ums Handgelenk, klemmte bei der Doppelzimmertür, schräg gegenüber dem Gemeinschaftsraum im Haus Ludwig, schon das Schild mit ihrem Namen. Ein gestauchtes Handgelenk, mehr hatte es nicht gebraucht, ein Sturz auf der Treppe, wie er vorkommen kann.
Stets war die Mutter mit etwas beschäftigt gewesen, bis zu jenem einen Tag ohne Unterlass bei einer meist ertraglosen, immer aber deutlich sichtbaren Tätigkeit. Zum Beispiel, dachte Schramm, das Wischen. Beim Abendbrot konnte man sitzen, beim Tee, mit Besuch oder ohne, gleich, wie man sich eingerichtet hatte, bald sprang sie auf und wischte erneut über eine eben erreichbare Fläche. Und wenn sie still saß und etwas ausrechnete, bewegte sie ihre Lippen und trat unter dem Tisch mit angewinkeltem Fuß ein vorgestelltes Pedal. Ihr Liebstes war es gewesen, die Einrichtung der Wohnräume zu verändern. Täglich und gründlich las sie in ihren Katalogen; so gut wie niemals kaufte sie einen neuen Gegenstand. Stattdessen fing sie an, die vorhandenen Dinge in eine andere Ordnung zu bringen. Ein ums andere Mal brachte sie die vernünftigsten Erklärungen vor, warum diese Änderung unbedingt nötig sei, während sie, eine Zigarette zwischen eingeklappten Lippen, Schränke, Tisch und Sitzmöbel über den Teppich zerrte. Oft rief sie ihre Söhne zu sich, damit sie ihr halfen, schickte sie aber nach kürzester Zeit wieder fort: Ihr wisst nicht, wie man es anzufassen hat, stellte sie fest und verlegte ihre Räumarbeiten auf die Vormittage, wenn sie allein war im Haus. Ich komme schon lang nicht mehr hinterher, scherzte der Vater, ich weiß ja beim Schlafengehen nicht, wache ich morgen im Kleiderschrank auf oder auf dem Bügelbrett. Und er lachte sein donnerndes
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