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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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Formulierungen im Sinn. Aber wenn er mit dem angespitzten Bleistift bei der angefangenen Grobschrift saß, kam er über die ersten Sätze nicht hinaus, schon diese ersten Sätzchen und das darin wiederkehrende Wort »ich« kamen ihm beim Wiederlesen so albern und dürftig vor, dass er alsbald jede Lust verlor.
    Und selbst wenn er nur in Gedanken versuchte, es zu ordnen und in eine Reihenfolge zu bringen, herauszufinden, wie die Ereignisse in einer Kette ineinander hingen, wurde es nicht klarer, sondern immer nur dunkler, und es war ihm bald, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Er hätte sich selbst angezeigt, er war auf die Dienststelle gefahren. Er hatte darauf bestanden, alles auf sich zu nehmen. Zu dünn! wiederholte er in einiger Gereiztheit die Worte der Beamtin. Sie war bei ihrem sturen Fragen geblieben, auch nachdem er dick und dicker aufgetragen, die Geschichte, um der Deutlichkeit willen, ausgeschmückt hatte durch eine beinahe frei erfundene Ohrfeige. Sie horchte nicht auf, sie strich nur wieder auf dem Papier hin und her, mit ihrer kleinen spitzfingrigen Hand. Das Haar trug sie schwarz gefärbt, mit weißen Schecken darin. So einfach geht es nicht, erklärte sie nur, ohne recht bei der Sache zu sein, das merkte er, merkte die Absicht, mit der sie ihn an andere Stellen verwies, wo er sich aussprechen und beraten lassen sollte. Ich bin nicht krank, sagte Schramm. Doch wahrscheinlich lag der Fehler bei ihm, hatte er es nicht verstanden, überzeugend zu erzählen, damit sie aufmerkte und begriff, dass schon genug geschehen war.

E s stimmt nicht, dass einem die Decke auf den Kopf und man selbst in eine Leere stürzt, wenn die gewohnten Pflichten wegfallen vom einen auf den anderen Tag. Dass man die Räume abgeht, das Wort an sich selbst zu richten beginnt. Froh, vergreist und dankbar, wenn schließlich ein Fremder im Auftrag einer Firma anruft, um eine Meinung zu erfragen, einen Verkauf zu tun. Einige denken so, aber es muss nicht dahin kommen, dass man vom einen ins andere Zimmer geht, bestimmte Räume zu meiden beginnt. Die Tür zum Wohnzimmer verschlossen hält, wo im Ohrensessel der Vater seinen Platz hatte, mit etwas Glück schon eingenickt war am frühen Vormittag; und die zur Küche, dem Mutterplatz am zwischen die Schrankzeilen geklemmten Ausziehtisch. Die Breite des leicht geneigten, auf dünne Stahlbeine gestellten Tischchens hatte ihr aufgestützter Körper bald ganz ausgefüllt. Auf die Füßchen unterm Stuhl war zu achten im Vorübergehen, eng beieinandergestellte, zum Aufspringen gewinkelte Füßchen. Ganz gleich, wie leis man über den Teppich tappte, hörte sie es doch und sah witternd auf. Den Bleistiftstummel in durchgedrückten Fingern, das Heftchen mit ihren Rätseln, ihren Rechnungen aufgefalzt unter der Zigarettenhand, schaute sie auf und schon wieder weg. Nur so dahin warf sie ihre Redensarten, doch solche Redensarten wird man, einmal gehört, so schnell nicht los. Den Schuh ziehst du dir wohl nicht an. Hat er dich angeschwärzt.
    So weit braucht es nicht zu kommen! Schramm wachte an allen Tagen ohne Wecker auf, Beschäftigung musste er nicht erst suchen. Er schlug sich im Badewinkel der Mansarde kaltes Wasser ins Gesicht. Er brühte eine Thermoskanne Kaffee, das ergab acht Tassen am Tag. Mittags gegen halb zwölf, abends um halb sechs klappte er den Tisch aus und bereitete je eine leichte Mahlzeit zu. Besuch gab es nicht mehr oft. Aber er wusste immer, welcher Wochentag war, und er würde sich nicht angewöhnen, vor den Abendnachrichten mit dem Trinken anzufangen. Einen Rhythmus müssen die Tage haben und immer die gleiche Form. Das ist nicht langweilig, das ist nur hilfreich, wenn man sich auf eine Aufgabe konzentrieren muss. Und alles, was lebt, hat seine Aufgabe, an der es sich zerreibt.
    Anfangs war er oft für Stunden herumgegangen. Aber er hatte schnell gemerkt, dass das nichts für ihn war, das war etwas für solche mit Zeit und Hund und einem Sack leerer Flaschen. Er hatte sie gesehen in ihren ausgebesserten Hosen, mit ihren Schläfenscheiteln an den rosigen Köpfen. Was einer daran fand, diesen Stadtring abzuschleichen, mit geducktem Nacken und einem Ziehwägelchen an der Hand. Unter den Basteleien im Grundschulfenster vorbei, an Sparkasse und Reiterdenkmal, Grieche und Rathausplatz, dem Videoverleih und daneben dem Imbiss Bosporus, wo auf festgeketteten Bierbänken die Jugendlichen saßen, Nachrichten in ihre Telefone tippten und warteten, dass sich etwas ereignete.
    Sie

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