Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba
gewarnt«, beteuerte Tirza.
Haru war verwirrt. Eben wollte sie ihn noch wegschicken und nun … »Reblingen ist also sicher«, sagte er abschätzig. »Na schön. Aber von denen denkt niemand an meine Leute.« Sein Herz klopfte vor Sorge wie verrückt.
»Broichhus liegt viel weiter westlich«, beschwichtigte Tirza. »Es ist unwahrscheinlich, dass …«
So fingen die meisten schlimmen Geschichten an. Haru ballte die Fäuste und malte sich das Unvorstellbare aus. »Also wolltest du mich tatsächlich gerade nur loswerden«, unterbrach er sie. »Und warum rückst du nur scheibchenweise mit der Wahrheit heraus?«
Tirza seufzte und wurde rot. »Also, äh, ich habe nicht zufällig auf den Handelszug gewartet, sondern war als Späher an der Straße postiert.«
Haru schwante Übles, obwohl ihm kaum noch mulmiger werden konnte. »Ihr habt Wind von der Hochzeit bekommen, nicht wahr?«
Tirza nickte. »Caru sollte die Esel weglocken, und dann hätten wir Herk geholfen, die Tiere wieder einzufangen. Wir wollten uns dabei nur ein paar Leckereien unter den Nagel reißen, ehrlich.«
Das wäre nicht der erste Streich, den die Reblinger Dorfjugend Broichhus spielte. Oder umgekehrt. Die krummen Verse eines Spottlieds spukten durch Harus müden Geist.
Reblinger, pass auf sie auf,
die klauen dir die Tür vom Haus.
Sie haben auch das Schwein gestohlen,
wir werden sie bald sehr versohlen
und auch die Sau gleich wiederholen.
Das wiederum erinnerte Haru an gemopste Wäsche, die mit angenähten Stoffringelschwänzen wieder auftauchte. In der Rückschau erschien ihm alles unwirklich. Gab es tatsächlich eine Zeit, in der Muße für derlei Späße gewesen war?
Tirza hüstelte. »Hörst du noch zu? – Als ich die Toten fand, hab ich Caru und den Rest mit einer Warnung heimgeschickt. Die Büttel sind bestimmt längst in Broichhus.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Du lässt mich ja kaum ausreden.« Tirza schmollte. »Außerdem dachte ich, ich komme allein besser klar.«
Haru nahm einen tiefen Atemzug. »Wie schmeichelhaft. Warum bist du eigentlich geblieben?«
»Ich wollte mich hier noch ein bisschen umsehen.«
»Ganz schön verrückt«, sagte Haru und dachte: Ziemlich mutig .
Tirza winkte ab. »Die Mörder waren längst über alle Berge. Es gab von ihnen nur wenig Spuren. Die haben ein Talent dafür, immer den steinigsten Untergrund zu finden, sodass man den Fußabdrücken schwer folgen kann. Aber als ich die Suche auf das Umland ausweitete, sah ich euer Lagerfeuer. Ich schlich mich also an, und dann hörte ich jemanden von einem toten Riesen reden …«
Erst in diesem Moment wurde Haru klar, was Tirza alles belauscht hatte. »Und natürlich waren wir deine Hauptverdächtigen.« Als wären sie Menschenfresser.
Tirza schwieg, und aus ihrer Miene wurde Haru nicht schlau. »Du hast uns also bewacht, bis deine Freunde mit den Bütteln zurückkommen sollten, um den Überfall zu untersuchen.«
»Ja, ich habe euch beobachtet. Nein, ich denke nicht, dass ihr darin verwickelt seid. Jetzt nicht mehr.«
»Herzlichen Dank. Muss ich jetzt auch noch froh sein, dass Skaggis Entführung uns von dem Verdacht des Mordes reingewaschen hat?«
»Nein, das war mir schon früher klar. Ich wollte Wache halten. Aber irgendwann bin ich eingeschlafen. Es war ein harter Tag«, verteidigte sie sich.
»Und ich hab dein Schnarchen für das Schnaufen eines Igels gehalten«, platzte Haru heraus.
Tirza schaute ihn böse an. »Ich wurde von einem Schrei geweckt. Und wenn ich mich nicht sehr irre, stammte der von dir.«
Die Morgenröte färbte den östlichen Himmel wie mit einem Tünchepinsel. Der Regen hatte beinahe aufgehört. Im ungewissen Zwielicht des anbrechenden Tages spürte Haru den dünnen Wasserschleier mehr auf der Haut, als dass er ihn sah.
»Dann wäre ja alles geklärt, Tirza. Gib deinen Kumpels wegen uns ruhig Entwarnung. Und wenn du schon mal auf dem Weg bist, sag freundlicherweise auch in Broichhus Bescheid. Nur zur Sicherheit.«
Tirza starrte ihn fassungslos an. »Du lehnst meine Hilfe ab?«
»Ich finde Skaggi bestimmt auch ohne dich. Abdrücke groß wie Kuhfladen sind ja wohl kaum zu übersehen.«
»Da bin ich aber gespannt.« Tirza ließ sich am Fuß der Eiche auf einer trockenen Wurzel nieder. Sie löschte ihre Laterne und verschränkte demonstrativ die Arme hinter dem Kopf.
Haru versuchte, nicht an Tirzas Augen zu denken, die vor Wut blitzten. Nicht an ihr Gesicht, das ihn immer wieder zum Hinschauen verleitete. Er
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