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Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Titel: Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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jemand noch vor Kurzem daran genagt. »Bist du sicher, dass der Weg uns trägt?«, fragte Haru.
    »Ja. Der Kerl wird in der Eile abgerutscht sein«, beruhigte ihn Tirza mit Blick auf die frische Bruchstelle. »Für eine so große Kreatur ist der Weg zu schmal.«
    Eigentlich war der Damm auch Haru zu schmal. Luftblasen blubberten direkt daneben hoch, als lebte jemand tief im Wasser. Er fühlte sich beobachtet. Lauerte das schaurige Wesen dort unten, unsichtbar im braunen Moorgebräu?
    Tirza blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Sieh mal, einige der maroden Teile sind ganz frisch ausgebessert. Das verstehe ich nicht.« Sie holte einen Kurzbogen aus dem Futteral, das sie auf den Rücken geschnallt trug, klappte das lockere Leder um und verschnürte alles zu einem offenen Köcher, in dem ein Dutzend Pfeile staken. Zuletzt zog sie die Sehne auf den Bogen. »Eigentlich wird der Weg nicht mehr benutzt. Er führt nur zum Haus der Riesen .«
    »Haus?« Haru prustete, um sein Unbehagen abzuschütteln.
    »Scht!«, machte Tirza.
    Gedämpft fuhr er fort: »Ich dachte immer, ein Haus hätte ein Dach und zumindest Wände. Du meinst wohl die alte Festung.« Riesen hatten sie vor Urzeiten gebaut und wieder verlassen, weil der Sumpf sich als stärkerer Gegner erwiesen hatte als die Feinde, gegen die das Fort einst standhalten sollte. Befestigungen und Mauern waren längst eingestürzt, im Sumpf versunken – oder abgetragen worden. Das handliche Baumaterial erfreute sich in den umliegenden Dörfern großer Beliebtheit, sodass lediglich noch eine Reihe von Steinhaufen und ein Plateau, auf dem sich Mauerlinien abzeichneten, übrig geblieben waren.
    Tirza wurde rot. »Mh ja, meine Geschwister und ich waren oft zum Spielen da …«
    Haru grinste. Die ledergewandete Tirza Bumpo hatte in den Ruinen also Mutter, Vater, Kind gespielt.
    Tirza legte einen Pfeil auf die Sehne. »Die Festung liegt hinter dieser Biegung. Das muss ich mir näher ansehen. Aber wir sollten jetzt sehr vorsichtig sein.«
    Das brauchte sie ihm nicht zu sagen.
    Haru hielt den Stab vor sich und pirschte neben Tirza um den Hügel. Als Nächstes prickelten eisige Nadelstiche seinen Nacken hinab. Von wegen abgetragen. Vor ihm ragte – in einem Abglanz ehemaliger Pracht – die Festung der Riesen aus dem schlammigen Nass auf. Algenbüschel klebten an grünbepelzten Steinblöcken, wo die längst versunkenen Mauern dem Sumpf entstiegen waren.
    Gekappte Röhrichtenden ragten ringsum aus dem Wasser, mit dem Schilfrohr war der Damm verstärkt worden. Der Knüppeldamm wurde zu einer Steinbrücke, die zum Tor der alten Festung führte. An ihrem Sockel standen zwei übermannshohe Steinbrocken. Tirza war schon halb an ihnen vorbei, als von links ein Paar wulstiger Arme aus dem Stein nach ihr griffen. Von der anderen Seite fühlte Haru sich selbst um die Körpermitte gepackt und in ein erstickendes schwarzes Nichts gezerrt.
    Haru tauchte fröstelnd aus der Schwärze auf. Er lag auf kaltem Stein und fühlte sich, als sei er in einen Eisstrudel gestürzt und darin unzählige Male umhergewirbelt worden.
    »Ganz ruhig«, sagte ein Mann, »das geht gleich vorbei.«
    Harus Zähne klapperten, die Augenlider schienen festgefroren zu sein. Mit einiger Anstrengung brachte er sie auseinander. Ein dämmriger Raum. Lichtfinger tasteten durch Fugen in der Mauer und teilten das Gewölbe in Tag und Nacht. »Wo sind wir?«
    »In einer Zelle. Komm erst einmal zu dir.« Jemand hockte neben ihm auf dem Boden.
    »Tirza?«, krächzte Haru und fuhr herum. Das hätte er besser nicht getan, denn die Leere griff wieder nach seinem Kopf und Magen. »Wo ist sie?«, brachte er gerade noch heraus, ohne zu würgen.
    »Da vorn. Sie erholt sich. Wie du.«
    Langsam klang der Schwindel ab, aber jeder Gedanke an eine heftige Bewegung verbot sich von selbst. Haru zog den Mantel enger um sich. Immer noch nisteten fremdartige Empfindungen hinter seiner Stirn. Die Augen hatten sich inzwischen ans schummrige Licht gewöhnt. Er sah Tirza ein Stück neben sich in den Umhang gewickelt und bleich wie ein Laken. Zwischen ihnen saß ein Riese mit schulterlangem Haar. Er war schmal gebaut. Das konnte unmöglich das Ungeheuer sein, das sie verfolgt hatten.
    »Was ist geschehen?«, wollte Haru wissen.
    »Ich vermute mal, die Gogler haben euch gefangen und in ihre Schale gezerrt«, erklärte der Riese. »Mit mir haben sie gestern das Gleiche gemacht. Furchtbar, als schwebe man im Nichts und würde nie wieder die Sonne

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