Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
sein. Sind wir erst einmal hoch genug, werden wir im Schutz dieser Gewitterwolke unsichtbar sein.«
Ich sah zu der Wolke auf. Zwischen den grauen Regenschleiern, die von ihr herabhingen und die Flanke der Sternenklippe verhüllten, sah man es dann und wann aufblitzen. Unter »Schutz« stellte ich mir etwas anderes vor.
Wir stiegen auf. Die Bergwand war steil und schlüpfrig. Wo kein Wasser über die Steine rann, wuchsen Moose oder gräuliche Pilze, beides kaum zu unterscheiden von dem Fels. Maneas zog eine dünne Leine aus seinem Bündel und seilte uns an. Dann stieg er leichtfüßig vorneweg und suchte uns den besten Weg für den Aufstieg.
Laetas folgte ihm etwas langsamer. Gulbert kämpfte sich ächzend und fluchend voran, und wir vom kleinen Volk waren alle keine Bergsteiger. Aber Maneas bewegte sich am Hang so geschickt wie am Boden und stand uns stets zur Seite. Er sicherte das Seil und kletterte oft sogar zu uns zurück und half uns über schwierige Stellen hinweg.
Endlich schob Gulbert sich über den Rand der Straße, die sich von dieser Höhe an um den Berg herumwand. Schwer atmend blieb er auf dem geglätteten Stein liegen. Kalter Regen prasselte auf uns herab, träufte von Felsvorsprüngen in der Höhe und zog Kreise in den Pfützen. Die dunkle Wolke, die wir von unten gesehen hatten, war fort. Stattdessen wateten wir durch leichten Nebel. Der Himmel war schwarz. Es blitzte und donnerte über unseren Köpfen, und die Luft prickelte.
»Komme, was mag«, keuchte Gulbert. »Ab jetzt folgen wir dem Weg.«
»Sollen wir nicht warten, bis das Wetter aufklart?«, fragte Otli.
»Das Wetter ändert sich nie«, sagte Laetas. Er stand im tiefen Schatten der Felswand, legte die flache Hand auf den Stein und schaute nach oben. »Magie verhüllt diesen Berg.«
Wir folgten dem Weg tiefer in das Unwetter hinein. Die Straße wurde zu einem Pfad, der sich durch Engstellen zwängte und über Treppen höher aufstieg. Wind brauste um uns herum, und wir klammerten uns aneinander und an jeden Halt, den die Felswand bot. Der Donner krachte direkt an unseren Ohren, und der Regen war nicht mehr von den Sturzbächen zu unterscheiden, die über die Berghänge rauschten.
»Das ist Wahnsinn!«, rief Otli.
Gulbert lachte. Sein Stab strahlte blau, seine Barthaare sträubten sich, und dann und wann fing er einen Blitz aus der Luft, der uns sonst getroffen hätte. »Oh ja!«, rief er. »Wahnsinn! Das ganze Unternehmen ist Wahnsinn, und dennoch müssen wir es wagen.«
Wir gingen weiter und wussten nicht, welche Tageszeit herrschte, draußen, außerhalb des schwarzen Ungewitters! Und dann wurde es plötzlich stiller. Der Regen ließ nach, nur einzelne Wasserschwaden peitschten noch vom Wind getrieben um unsere Füße. Das Prasseln und Tosen klang mit einem Mal hohl und fern, als hätte ein einziger Schritt uns in eine andere Welt entrückt.
Ich sah mich um. Hinter uns tobte das Unwetter unvermindert weiter, doch um uns herrschte eine Ruhe, als wären wir unter das Dach einer Halle getreten.
Gulbert führte uns weiter bis zu einer Steinsäule, die unregelmäßig wie ein Stalagmit aus dem Boden aufragte und über uns in Nebel und Dunkel verschwand. »Das ist … interessant«, flüsterte er.
»Sind wir in einer Höhle?«, fragte Otli.
»Etwas Ähnliches muss es sein«, sagte Gulbert. »Aber es ist zu offen für eine Höhle, zu viel lichte Höhe über unseren Köpfen. Ich spüre keine Gänge und Kammern, nur ein wenig Gestein, das eine ebenfalls steinerne Decke trägt. Ich würde diesen Ort gern einmal bei klarem Wetter sehen.«
»Keine Zeit dafür«, sagte Maneas. »Wenn das hier eine Höhle ist, dann ist Leuchmadans Hort nicht mehr weit.«
Eine allzu zuversichtliche Einschätzung, wie sich herausstellen sollte. Aber Laetas pflichtete ihm bei: »Und ich spüre etwas Vielversprechendes in dieser Richtung! Ich glaube, dort geht es weiter.«
Maneas schnappte nach Luft und trat zurück in unsere Mitte. »Vielversprechend, Bruder?«, fragte er, und ich sah, wie er erschauderte.
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Gulbert. Der Zauberer hob witternd den Kopf. »Ich spüre es auch – eine böse Magie, wenn es überhaupt so etwas gibt. Aber Laetas hat Recht. Ich fürchte, das ist der Weg, den wir gehen müssen.«
Er schritt voran, und wir drei vom kleinen Volk rückten Schutz suchend zusammen, auch wenn wir nichts von dem spürten, was das große Volk fürchtete.
»Ich bin froh«, tuschelte Malangar, »dass er nicht gesagt hat:
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