Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
Otli.
    »Nicht auf die Art, wie du es meinst«, sagte Maneas und war fort.
    Wir anderen brauchten eine Weile, um wieder zur Besinnung zu kommen. Gulbert vor allem. Dann trotteten wir weiter.
    Die Gänge wirkten bedrohlicher als zuvor. Sie waren dunkel und still wie immer, erfüllt nur vom Echo unserer eigenen Schritte. Aber es schien eine Präsenz hinzugekommen zu sein, die wir jenseits unserer Sinne spürten. Fühlte es sich so an, wenn man die Welt auf magische Weise wahrnahm? Dann und wann stieg ein leichter Geruch in unsere Nasen, stechend und würzig, und verschwand wieder. Es war etwas Lebendiges daran, wie dieser Duft um uns herumstrich. Kann ein Geruch ein Fühler sein? Ich glaube ja. Gulbert ging uns voran, und ich erwog, ihn darauf anzusprechen, aber ich wagte es nicht. Man soll keine Frage stellen, wenn man die Antwort nicht ertragen kann.
    Wir alle zuckten zusammen, als plötzlich ein Schatten aus einem Seitengang und zu uns trat. Aber es war nur Maneas, der schweigend im Halbdunkel am Rande des Lichtkreises von Gulberts Stab verharrte. »Es ist getan«, sagte der Elf. »Dieser Nachtalb wird uns nicht mehr behelligen. Nur das Ungeheuer verbleibt noch auf unserer Fährte.«
    Gulbert sah ihn an und zupfte mit der Linken an seinem Bart. »Es war also ein Nachtalb, der mit einem Zauber seine Gestalt verhüllt hat.« Gulbert verharrte unschlüssig, die Runzeln auf seiner Stirn verstärkten sich.
    Immerhin hatte Maneas soeben seinen Gefährten getötet … Aber es war gar nicht sein Gefährte gewesen, sondern ein tückischer Gestaltwandler. Und doch hatten wir Laetas verloren, wenn auch unbemerkt bereits vor Tage n.
    An Gulberts bewegter Stirn ließ sich ablesen, dass all diese widerstreitenden Gedanken ihm in diesem Augenblick durch den Kopf gingen und er die richtigen Worte suchte. Es war dasselbe, was wir alle dachten; wir waren hin- und hergerissen zwischen Trauer und Erleichterung, weil ein Feind weniger in diesen Gängen auf uns lauerte, zwischen Beschämung, weil Laetas’ Verlust uns weniger bedeutete, als er sollte, und Sorge um Maneas, den das alles umso mehr treffen musste.
    »Geht es dir gut, Maneas?«, fragte Gulbert schließlich. Er streckte dem Elfen die Hand entgegen. »Möchtest du über das Geschehene, über den Verlust sprechen?«
    »Nein«, antwortete Maneas. »Nein, es geht mir nicht gut. Aber wir haben keine Zeit zum Reden oder Trauern. Uns bleibt genug zu tun.«
    Er ging an Gulberts ausgestreckter Hand vorbei. Im selben Augenblick riss er etwas unter seinem Mantel hervor. Sein Arm stieß zu und traf Gulbert an der Brust. Der Zauberer taumelte zurück. Wir alle sahen den Messergriff, der aus dem weißen Gewand ragte, das Blut, das sich darauf ausbreitete. Malangar schrie auf.
    »Uns bleibt noch etwas zu tun«, sagte Maneas, und seine Stimme veränderte sich, »denn unsere Rache ist noch nicht vollendet.«
    Mit der Stimme änderte sich auch sein Gesicht. Seine Züge zerflossen und wurden dunkler, auf seinem Gewand erschienen Flecken und Risse, die vorher nicht da gewesen waren. Schon stand ein Nachtalb vor uns, in Maneas’ von Blut durchtränkter Kleidung. Er war den Alben erschreckend ähnlich, die wir auf der Lichtung im Dornenwald dem Feuer übergeben hatten.
    Jetzt konnte auch ich einen Aufschrei nicht unterdrücken, denn mir schien es, als wäre einer dieser Toten zurückgekommen, um Rache zu nehmen. Und in gewisser Hinsicht sollte ich Recht behalten.
    »Elfen töten niemals ihresgleichen«, sagte der Nachtalb, »auch wenn sie sonst jedes Leben auf dem Altar ihrer ›Reinheit‹ opfern. Das ist eine Schwäche, denn als dieser Elf mich in den Gängen stellte und ich ihn mit der Stimme seines Gefährten ansprach und ihn ›Bruder‹ nannte, da zögerte er. Nur einen Augenblick, aber mehr brauchte ich nicht, um ihm die Kehle durchzuschneiden.«
    Die Stimme des Nachtalbs war ein hasserfülltes Zischen. Er zog einen weiteren Dolch aus dem Gürtel, Maneas’ Dolch. Der Griff der Waffe in Gulberts Brust war schwarz und breit und fremdartig. Der Nachtalb beäugte den Magier wachsam, bereit, auf jedes Anzeichen für einen Zauber zu reagieren.
    Aber Gulbert legte nur fassungslos die Finger auf den Griff, der aus seinem Gewand ragte. Als er sprach, gluckerte Blut in seinen Lungen. »Warum … jetzt? Warum … warten? Leuchmadans Horden … überall auf dem Weg. Du hättest … jederzeit verraten können.«
    »Leuchmadan!« Der Nachtalb spie auf den Boden. »Was kümmert mich Leuchmadan! Meine

Weitere Kostenlose Bücher