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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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noch zumutbar ist und wo dieGrenzen überschritten sind, sie erfahren im Zusammensein, welche Umgangsformen gut tun und welche schmerzen. Dabei lernen sie auch abzuwägen und nach und nach die persönliche Situation des Einzelnen zu berücksichtigen. Bis dahin aber ist es ein weiter Weg, an dessen Anfang ziemlich harte und gnadenlose, gelegentlich sogar grausame Prinzipien und Umgangsformen stehen können.
    Kinder unter etwa 12   Jahren sind in ihren Wahrnehmungen und Aktionen noch sehr selbstbezogen und können ihr eigenes Verhalten nur aus der eigenen Perspektive sehen. Deshalb wirken manche Verhaltensweisen unter Kindern rücksichtslos und egoistisch. Erst im Jugendalter sind die meisten Menschen so weit entwickelt, dass sie sich in die Situation eines anderen hineinversetzen und die Gefühle und Probleme des anderen bedenken und verstehen können. Dazu muss man in der Lage sein, sich selbst zurückzunehmen und die Dinge aus einer »höheren« Warte anzuschauen, in der die Situation aller Betroffenen wie von außen betrachtet und analysiert wird. Kinder können das noch nicht, Kinder stecken mittendrin.
    Wenn Kinder in Gruppen zusammen sind, »spielen« sie mit sozialen (und unsozialen) Verhaltensweisen. Da geht es darum, ob es einen »Bestimmer« gibt oder ob alle »gleichberechtigt« sind. Es geht um Macht und Unterdrückung, um das Dazugehören und Ausschließen. Sie probieren aus, wie man Konflikte lösen kann: Gilt das »Gesetz des Stärkeren«, das Wort des »Bestimmers«, zählt man aus, lässt man das Los entscheiden oder gelingt es in gemeinsamen »Beratungen«, einen Konsens zu finden?
    Die sozialen Erfahrungen, die Kinder in ihren Gruppen (ohne Erwachsene!) sammeln, sind außerordentlich wichtig:
    Zum einen spielen die Kinder nach, was sie in der Erwachsenenwelt beobachten. Damit probieren sie aus, wie sich dieUmgangsformen der Erwachsenen anfühlen und welche Konsequenzen sie haben. Im positiven wie im negativen Sinn: Unterdrückung oder gleichberechtigte Partnerschaft, Diskriminierung oder Annahme, Demütigung oder gegenseitige Achtung, Lösung von Konflikten durch Verhandlung oder durch Gewalt. Letztlich sind diese Erfahrungen auch die Grundlage für die staatliche Ordnung, die die Kinder als Erwachsene für richtig halten werden. Und natürlich dafür, wie sie später mit ihren eigenen Kindern umgehen werden. Vorbild sind die Erwachsenen, an denen sich die Kinder orientieren.
    Zum anderen geben sich Kinder in ihren Gruppen eigene soziale Gesetze. Jede Spielregel ist so ein Gesetz. Damit machen Kinder ihre ersten Erfahrungen mit Recht und Gesetz. Sie lernen, was es für die Gemeinschaft heißt, wenn jemand ständig Regeln und Gesetze missachtet. Sie erfahren aber auch, wie lähmend und verkrampfend sich eine allzu engstirnige Regelauslegung auswirkt. Damit üben sie, mit Regeln und Gesetzen vernünftig, sozial und menschlich umzugehen. Das sind soziale Basiserfahrungen, die sich bis ins Erwachsenenleben auswirken (wie viele Erwachsene tun sich schwer damit, das rechte Maß zwischen engstirniger Gesetzesauslegung und allzu unbeschränkter Großzügigkeit zu finden!).
    Im gemeinsamen Spiel lernen die Kinder auch ganz automatisch, dass es Situationen gibt, die man nur meistern kann, wenn man sich gegenseitig hilft. Wenn der unterste Ast eines Baumes, auf den man klettern möchte, zum Beispiel zu hoch ist, muss den ersten Kindern, die herauf wollen, von unten hochgeholfen werden. Und das letzte Kind muss sich darauf verlassen können, dass es nicht »hängen gelassen«, sondern dass es von den Freunden, die schon oben sind, hochgezogen wird.
    Heutzutage geben moderne Unternehmen viel Geld aus, um ihren jungen Managern beizubringen, was Teamgeist bedeutet.In teuren »Abenteuerseminaren« sollen sie die Erfahrung machen, wie es ist, wenn man ein Hindernis nur gemeinsam überwinden kann, wenn eine schwierige Kletteraufgabe nur mit gegenseitiger Unterstützung zu bewältigen ist. Immer mehr erwachsene junge Männer und Frauen haben noch nie solche Erfahrungen gemacht!
    Vielleicht das Wichtigste, was Kinder im Umgang miteinander lernen müssen, ist, die Grenze der Verletzlichkeit bei anderen auszuloten. Leider ist es absolut unvermeidlich, dass sich die Kinder dabei körperlich und seelisch gegenseitig wehtun. Denn das Gespür dafür, wie weit man gehen kann, ist keineswegs angeboren. Das vergessen wir Erwachsenen so schnell. Die Grenzen des Zumutbaren zu kennen, ist aber eine der wichtigsten

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