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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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zuverlässig weiterlaufen: Das Frühstück vor der Schule wird nicht von selbst zur festen Gewohnheit, und auch die Mittags- und Abendmahlzeit kann man einem Kind nicht allein überlassen. Es muss jemand da sein, der auf die richtige, zum Wetter passende Kleidung achtet und darauf, dass die Zähne geputzt und die Hausaufgaben gemacht werden, der mit ruhiger Bestimmtheit das Kind zur rechten Zeit ins Bett schickt und ihm, wenn es krank ist, zur Seite steht. Leider sind diese für die Lebenskräfte von Kindern so wichtigen Hilfestellungen in unserer Gesellschaft in allen sozialen Schichten keine Selbstverständlichkeit mehr.
    Es ist zwar unglaublich, wie viel Kraft Kinder aufbringen können, um Versorgungsmängel von sich aus, so gut es geht, abzufangen. Es ist aber auch schmerzlich zu sehen, wie viele Kinder wirklich darunter leiden   – und es meistens tapfer verstecken!   –, dass sie so früh in diesen Dingen sich selbst überlassen und in diesem Sinn in eine für sie noch viel zu große Welt hinausgestoßen werden.
    Das andere Extrem aber ist auch problematisch: Hausaufgaben, die mehr von den Eltern als von den Kindern erledigt werden (müssen?), Mütter, die ihren Kindern die Schultasche packen, anstatt sie zu fragen, ob denn alles eingepackt ist, die das Zimmer aufräumen, regelmäßig die Schmutzwäsche einsammeln, den Tag bis in die letzte Minute durchplanen usw. Zum Großwerden gehört auch, selbst Verantwortung übernehmen zu lernen für die Dinge, die man selbst verantworten kann. Das sind die Dinge, die ohne gravierende Schäden auch einmal danebengehen oder vergessen werden können   – ist es so schlimm, wenn mal eine Hausaufgabe falsch gemacht, das Turnzeug mal vergessen wird?
    Wenn Kinder größer werden, wenn sie sich weiterentwickeln und verändern, wenn sich ihre Bedürfnisse, Möglichkeiten, Horizonte und Perspektiven erweitern, dann müssen vor allem die Erwachsenen ihren Umgang mit dem Kind und ihre Beziehung zu ihm verändern. Dann müssen
sie
eine Schwelle überschreiten!
Sie
müssen von Zeit zu Zeit ihr Verhalten sehr bewusst umstellen und dem gewachsenen Kind anpassen.
Sie
sind es, die lernen müssen, ihrem größer gewordenen Kind anders, neu, auf einer   – etwas   – höheren Ebene zu begegnen und es als reiferen Menschen anzusprechen, es altersgemäß zu fordern, ohne es dabei zu überfordern, ihm neue Freiheiten zu gewähren, ohne es zu verstoßen, ihm Sicherheit zu geben, ohne es einzuengen.

Wo sind die Grenzen?
    Die »Acht-, Neunjährigen« oder die »kleine Pubertät«
    D er Patrick rennt zur Zeit rum wie eine legiche Henn« (wie ein Huhn, das dringend ein Ei legen möchte und auf der Suche nach einem Legenest kopflos herumirrt). Mit diesem fassungslosen Stoßseufzer charakterisierte eine schwäbische Heimerzieherin in einem Beratungsgespräch den neunjährigen Patrick. Sie war ziemlich ratlos angesichts seiner Rastlosigkeit, seiner Unausgeglichenheit   – sie sprach von »Unausgegorenheit«   –, seiner Unfähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren und etwas zu Ende zu bringen. Seine ständigen Provokationen, seine altklugen Erziehungsmaßnahmen ihr gegenüber, seine rebellischen Versuche, alle Gruppenregeln über den Haufen zu werfen und die anderen Gruppenkinder gegen die Erzieher aufzuwiegeln, machten sie wütend. Gleichzeitig erlebte sie ihn aber als schutzloses, Geborgenheit suchendes Kind, das sich aber vor lauter innerer Unruhe nirgendwo anlehnen und niederlassen konnte.
    Patrick war   – und ist vermutlich heute noch   – ein Mensch, der alle Entwicklungsphasen und -krisen besonders gründlich und extrem durchlebte und durchlitt.
    Die Erzieher kannten ihn und seine tief begründeten Verhaltensstörungen seit geraumer Zeit. Aber die Veränderungen, diein den vergangenen Wochen immer deutlicher an ihm zu spüren waren, mussten andere Ursachen haben. Er steckte spürbar in einem entwicklungsbedingten Gärungsprozess.
    Als wir ein knappes Jahr später gemeinsam in einem Teamgespräch auf seine Entwicklung zurückschauten, waren wir überrascht, wie sehr sich Patrick zwischen seinem 9. und 10.   Geburtstag verwandelt hatte: Zwar war er immer noch sehr »schwierig« und eine echte erzieherische Herausforderung, aber von »Gärung«, »kopflosem Herumirren« konnte beim Zehnjährigen keine Rede mehr sein. Das pädagogische Geschick der Erzieher allein konnte diese Wandlung nicht bewirkt haben.
     
    Max und Steffen wuchsen am Rand eines kleinen Dorfes auf,

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