Große Kinder
tun Erwachsene gut, die einem sagen, wie man das macht.
Bei aller aufkeimenden Selbständigkeit sind siebenjährige Erstklässler aber noch eindeutig zu klein, um ihr Leben selbst zu organisieren. Sie sind überfordert, ihre Nachmittage und Wochenenden so zu planen, wie sie es sich im Tiefsten ihrer Seele wünschen. Ohne die Unterstützung von Erwachsenen bleibt ihnen in unserer Gesellschaft tatsächlich oft nichts anderes übrig, als sich zu Hause mit Fernsehsendungen, Computer- oder anderen vorgefertigten Spielen zu begnügen. Das ist kein Leben. Kein Kinderleben!
Aufgrund dieser Erfahrungen starteten die Eltern der Klasse unserer jüngsten Tochter vor Jahren einen gemeinsamen Versuch: Von der 1. Klasse an wurde den Kindern ganz bewusst Gelegenheit verschafft, in ihrer Freizeit mit den Freundinnen und Freunden möglichst viel in freier Natur zu spielen, möglichst selbständig, nur locker und von ferne beaufsichtigt von Erwachsenen.
Trotz der Berufstätigkeit und der starken Beanspruchung vieler Elternpaare war das möglich. Es gab bei gutem Wetter samstags vor- oder nachmittags einen festen Treffpunkt an einem bestimmten Waldspielplatz. In Fahrgemeinschaften wurden die Kinder, die wollten, hingebracht und dann bewusst weitgehend sich selbst überlassen. Die Eltern waren zwar in Rufweite (und lernten sich bei ausgiebigen Schwätzchen am Sandkasten, in dem die kleineren Kinder spielten, näher kennen),aber sie hielten sich mit Aktivitäten zurück, es sei denn, sie wurden von den Kindern direkt zum Spielen aufgefordert (was selten vorkam).
Die Kinder haben diese Freiheit in der Gesellschaft der Klassenkameraden an einem Ort, den sie zunehmend in Besitz nehmen konnten, und natürlich die Möglichkeit, ausgiebig in der freien Natur spielen zu können, außerordentlich genossen. Und am Montag hat der Lehrer es genossen, dass die Kinder ausgeglichener und aufnahmefähiger waren als in anderen Klassen.
Darüber hinaus wurde es für Eltern und Kinder selbstverständlich, dass sich nachmittags häufig mehrere Kinder zum Spielen bei den Familien einfanden, die bereit waren, zwei oder drei, ab der 2. Klasse auch noch mehr Kinder aufzunehmen. Voraussetzung war auch, dass diese Familien einigermaßen naturnah wohnten und Mutter oder Vater zu Hause waren. Der Ansturm war für die Gastgeber weniger schlimm als befürchtet, weil die Kinder sehr bald selbständig spielten: Immer gab es »Wichtiges« zu erledigen und zu erleben, Abenteuer mussten gesucht und bestanden werden, und wenn sie nicht rauskonnten oder -wollten, liefen drinnen intensive Theaterproben, wurde gebastelt, gespielt, Lager gebaut, gebacken. Auch das Aufräumen wurde bald als Abschluss des Nachmittags zum anerkannten gemeinsamen Ritual.
Bis sie etwa 12 Jahre alt und dem Spielalter entwachsen waren, konnten diese Kinder noch wirklich weltvergessen miteinander spielen und ihre Abenteuer bestehen. Weltfremd sind sie darüber wahrlich nicht geworden! Trotz ihrer manchmal überbordenden und anstrengenden Lebhaftigkeit, die auch im Unterricht zu spüren war, fanden vor allem die Lehrer, dass sie weniger »verhaltensauffällig«, offener, angstfreier, selbstsicherer und fröhlicher waren als viele ihrer Altersgenossen.
Für unsere Jüngste gab es in diesem Zusammenhang in der 4. Klasse einen für sie deutlich spürbaren Bruch, als wir nach Berlin umzogen: Hier spielten die Klassenkameradinnen im Verein Hockey oder Tennis, sie gingen reiten oder zum Schwimmkurs, lernten oft zwei Musikinstrumente und waren tagaus, tagein vollauf und »sinnvoll« am Gängelband der Erwachsenen beschäftigt. Aber sie taten sich schwer, ihren spontanen Fähigkeiten, ihrer Phantasie und Improvisationsgabe zu trauen, geschweige denn sie auszuleben. Sie konnten nicht mehr spielen und die Welt war ihnen unheimlich. Einige Kinder sind zum Beispiel nie auf einen Baum geklettert, weil sie fanden, das sei zu gefährlich ...
Auch wenn man Kinder in diesem Alter getrost sich selbst überlassen kann, um gemeinsam mit Freunden zu spielen, brauchen sie eine erwachsene Bezugsperson, die da ist, wenn Material gebraucht wird oder wenn der Magen knurrt, jemanden, der die Zeit im Auge behält, der tröstet und hilft, wenn es Kummer gibt oder gar Verletzungen (die bei natürlichem Spiel durchaus vorkommen, aber nur sehr, sehr selten so dramatisch sind, wie es Eltern immer fürchten).
Erwachsene müssen darauf achten, dass die grundlegenden Dinge des Lebens abgesichert sind und
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