Große Kinder
waren seit Kindergartentagen eng befreundet und hatten weidlichen Auslauf. Eines Tages vermisste Steffens Vater seine Säge. Weil er sie dringend brauchte, um einige Äste abzusägen, machte er sich auf den Weg zum Lager der beiden Jungs, von dem er wusste, dass es im nahe gelegenen Wald in einer versteckten Erdkuhle eingerichtet war. Die Jungs waren nicht da. Als der Vater in das Lager »eingebrochen« und so behutsam wie möglich hineingekrochen war, entdeckte er nicht nur seine inzwischen angerostete Säge, sondern zu seinem Entsetzen eine kleine Feuerstelle, und zwar unter den trockenen Brettern und Ästen des Lagers im zur Zeit sehr trockenen Wald. Außerdem fand er eine erstaunliche Sammlung ziemlich frischer Zigarettenkippen – seiner Marke!
Auf dem Heimweg purzelten die Gedanken und Gefühle des armen Mannes nur so durcheinander: Wenn die Hütte Feuer gefangen hätte ... Hat sie aber nicht: Konnten die Jungs doch schon so sicher mit Feuer umgehen? Verlassen durfte er sich auf keinen Fall darauf. (Jetzt erst fiel ihm auf, dass sie einenEimer voll Wasser in einer Ecke stehen hatten.) Dabei wussten beide Jungs ganz genau, dass sie allein kein Feuer machen durften, das war ihnen regelmäßig eingeschärft worden, immer wenn die Väter Feuer gemacht hatten. Dann das mit dem Rauchen – wenn die jetzt schon damit anfingen! Er war immerhin schon 12 gewesen, als er seine erste Zigarette geraucht hatte. Er ärgerte sich, dass Steffen ihm seine Zigaretten geklaut und er es nicht einmal bemerkt hatte. Was würde seine Frau sagen? Sie hätte ja gefälligst auch etwas besser auf den Sohn aufpassen können! Sollte er mit ihr überhaupt über seine Entdeckung reden? Dann würde sie bestimmt wieder damit anfangen, dass
er
mit dem Rauchen aufhören solle, weil das ungesund und außerdem ein schlechtes Vorbild für die Kinder sei. Sollte er die Jungs zur Rede stellen oder das Ganze einfach ignorieren? Immerhin ließ sich nicht verbergen, dass er die Säge aus dem Lager geholt hatte und die Kippen gesehen haben musste (jetzt fühlte er sich plötzlich als der Missetäter!). Aber vielleicht würden die Jungs das Verschwinden der Säge gar nicht bemerken, so ordentlich waren sie nicht. Wenn sie ihn aber mit der Säge hantieren sähen? Vielleicht wäre es vernünftig, sich zu beeilen, um fertig zu sein, bevor Steffen nach Hause käme? So ein Unsinn, so weit käme es noch, dass er vor seinem Sohn kuschte! Eine Tracht Prügel gehörte ihm, sonst nichts, damit wäre der Fall erledigt. – Wäre er das? Mit Prügeln konnte man Steffen nicht beikommen, das stand fest ... Wenn sich der Junge doch nur an das halten würde, was man ihm sagt! Seit er in der 2. Klasse ist, hat er überhaupt keinen Respekt mehr vor dem Vater. Der einzige Mensch, dem er vorbehaltlos glaubt, scheint die Klassenlehrerin zu sein, und mit der kann man ja nun nicht darüber reden, dass Steffen und Max heimlich Feuer machen und rauchen ...
Irgendwann, während er die Bäume stutzt, ordnen sich seine Gedanken: Er hat die Säge geholt, weil sein Sohn sie nicht zurückgebracht hat. Dabei hat er entdeckt, dass Steffen und Max Dinge tun, die eindeutig verboten sind. Wollten sie vielleicht sogar insgeheim dadurch, dass sie die Säge nicht zurückgebracht haben, irgendwann »entdeckt« werden? Jedenfalls wird er, sobald die zwei Halunken auftauchen, beiden gemeinsam klar und deutlich sagen, was er weiß und was er von ihren Taten hält. Er hat zunehmend das Gefühl, dass es genügen könnte, das Geheimnis der beiden aufzudecken, die Grenzen wieder klar zu ziehen und ihnen die Köpfe zurechtzurücken. Eine »Bestrafung« kommt ihm in dieser Situation merkwürdig fehl am Platz vor – er wüsste auch gar nicht, wie er die Jungs bestrafen sollte. Eher so etwas wie »reden von Mann zu Mann« könnte passen ... Wahrscheinlich haben die beiden sich überhaupt nicht klargemacht, dass ein Feuer im Dach ihrer Bude nicht so einfach mit einem Eimer Wasser von unten zu löschen wäre, bestimmt haben sie nur an das Feuer am Boden gedacht. Einerseits halten sie sich schon für so groß und erwachsen, andererseits haben sie eben doch noch nicht den Überblick. Wenn er sie dazu bringen würde, sich die unbedachten Folgen ihrer Spielchen auszumalen, dann wäre das bestimmt mehr wert, als wenn er sie beschimpfte ...
Florian suchte Grenzen auf andere Weise. Er war der »gescheite« Sohn eines Lehrerehepaares. Vater und Mutter legten großen Wert auf
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