Große Liebe Desiree
Überleben.
Unerwartet lächelte er sie an. Es war dasselbe amüsierte, sich selbst verspottende Lächeln, das sie noch von jenem ersten Abend in Providence kannte. Sie wollte ihm sagen, wie sehr sie ihn liebte, aber heraus kam etwas ganz anderes.
»Jack, hinter dir!« schrie sie, als ein Franzose mit einem langen Messer die Stufen heraufkam.
Sofort wandte Jack sich um und fing den Angreifer ab. Das letzte, was der Mann von sich gab, war ein erstickter, gurgelnder Schrei, als seine Beine unter ihm wegknickten. Désirée schloß die Augen, um den Sterbenden nicht sehen zu müssen.
Dann zerrte Jack sie wieder mit sich fort, diesmal über die Leiche hinweg und die Stufen hinunter. »Wenn Boucher auch nicht da ist«, sagte er, »dann können wir doch wenigstens sein Logbuch mitnehmen. Komm, Liebling, du kannst mir suchen helfen.«
»Warum müssen wir uns beeilen?« fragte sie atemlos. »Du hast doch das Schiff, oder?« Er schüttelte den Kopf. »Nicht eher, als bis wir sicher damit in Portsmouth sind.«
Die Tür neben ihr ging auf, und mit einem Ausruf des Schreckens zuckte sie zurück und ließ Jacks Hand los. »Mr. Macaffery!«
»Was tun Sie hier, Désirée?« fragte er gereizt. Er war für die Reise gekleidet, seine kleine Seekiste stand verschlossen hinter ihm auf dem Boden. »Sie sollten noch immer unten sein, so hat es mir jedenfalls Boucher gesagt. Er hat mir auch gesagt, daß Sie seine Einladung für heute abend ablehnten. Das war nicht klug, meine Liebe, gar nicht klug.«
»Und da wir gerade von Klugheit sprechen, Macaffery«, sagte Jack von dem anderen Ende des Ganges her, wo der Anwalt ihn nicht bemerkt hatte, »so würde ich gern hören, warum Sie Désirée nahelegen, die Einladung eines Franzosen anzunehmen.«
Obwohl sein Blick Jacks Entermesser erfaßte, wich Macaffery nicht zurück. »Ich habe mich in Ihnen getäuscht, Herendon. Ich hätte nie geglaubt, daß die Kleine Ihnen diese Ungelegenheiten wert wäre. Sehen Sie sie an, schmutzig wie eine Schlampe!«
»Noch so eine Bemerkung, Macaffery, und ich schlitze Sie auf, so wie Sie dort stehen«, sagte Jack kalt. Er deutete mit dem Entermesser auf die Seekiste. »Sie verlassen uns? Wie nett von Ihnen, Miss Sparhawk Bescheid zu sagen, damit sie mitkommen kann.«
»Sie konnte nicht mitkommen, das wissen Sie.« Macaffery lächelte dünn. »Ich habe den Franzosen mein Lösegeld bezahlt, und ich kann gehen. Warum sollte ich ihretwegen meine eigene Sicherheit aufs Spiel setzen? Seit Monteil tot ist, ist sie wertlos.«
»Aber Sie haben meiner Großmutter versprochen, auf mich aufzupassen!« rief Désirée und machte einen Schritt auf ihn zu. Sie hatte Boucher mißverstanden. Mit dem Gentleman, der sie betrog, hatte er Macaffery gemeint, nicht Jack. »Sie haben uns gesagt, daß ich dazu beitragen kann, unser Land aus dem Krieg herauszuhalten, wenn ich mit Ihnen komme, so wie Obadiah es tun wollte. Großmama vertraute Ihnen - wir alle vertrauten Ihnen -, weil Sie ein Freund meines Vaters waren!«
Im selben Moment packte Macaffery sie und preßte sie an sich. Er hatte ein kleines Messer aus dem Ärmel gezogen und drückte es ihr gegen die Kehle.
»Und jetzt, Désirée, haben Sie mir schon wieder vertraut und hätten es doch besser nicht getan. Zum Schluß können Sie mir doch noch einen Dienst erweisen. Lassen Sie das Entermesser fallen, Herendon. Hier, vor meine Füße. Denken Sie daran, ich habe nichts zu verlieren, wenn ich ihr die Kehle durchschneide. Haben Sie nicht ihretwegen schon zuviel durchgemacht, um sie jetzt so sterben zu sehen nur wegen Ihrer eigenen Dickköpfigkeit?«
Ohne einen Moment zu zögern, warf Jack sein Messer vor Macaffery Füße. Er hatte noch ein Messer im Ärmel und ein weiteres an seinem Gürtel, aber Macaffery hatte recht. Er würde Désirées Leben nicht noch einmal aufs Spiel setzen.
Aus der Ferne waren Kirchenglocken zu hören, sie läuteten Alarm. Jemand hatte bemerkt, daß die Panthère vom Land weg und auf die Hafenmündung zusteuerte. Aber Jack sagte nichts, er hoffte, daß Macaffery das Geräusch nicht hören und nicht bemerken würde, daß das Schiff bald zu weit vom Festland entfernt sein würde, um ihn - und Désirée - zurückzulassen.
Désirée hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen, sie versuchte zu sprechen, aber als sie die Klinge kalt und scharf an ihrem Hals fühlte, gab sie es auf. Macaffery war es gleichgültig, ob sie lebendig oder tot war, und wenn er sie jetzt tötete, würde sie sterben, ohne
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