Große Liebe Desiree
geboren hat, gibt es für mich keine Hoffnung mehr. Ah, da haben wir es. Zwanzig Jahre, und noch immer keine richtigen Schlösser an den Rahmen.«
Das Fenster sprang auf, er stieg ein und zog den Vorhang beiseite, damit sie hinein konnte. Sie zögerte, und er streckte ihr den Arm entgegen. »Komm, Liebste, ich verspreche dir, es ist ebensogut wie im Londoner Tower.«
Sie zögerte noch immer. Seitdem er gesagt hatte, daß sie heute morgen nach Rosewell gehen würden, war seine Stimmung schlecht. Die erzwungene Heiterkeit täuschte sie nicht. »Ich weiß nicht, Jack. Es scheint nicht richtig zu sein, so in das Haus deines Bruders einzudringen.«
»Das ist es nicht«, stimmte er zu. Er seufzte und betrachtete seine Füße, während er das Messer zurücksteckte. Als er den Blick hob und sie ansah, war sein Ausdruck sehnsüchtig, beinahe flehend. »Creighton weiß, daß ich nie wieder hierher zurückkehren sollte, und er ist kleinlich genug, mich wegen des Eindringens vor den Magistrat zu bringen. Aber ich wünsche mir, daß du dir ein paar Dinge ansiehst.«
Sein Lächeln war rührend unsicher, als er die Hand nach ihr ausstreckte. »Bitte, Désirée. Tu es für mich.«
Sie konnte nicht ablehnen, nahm seine Hand, und er half ihr, durch das Fenster zu klettern. Drinnen wartete sie, bis sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten. Der
Raum war beinahe würfelförmig, genauso hoch wie breit. Möbel unter Staubschutzhüllen waren auf dem Parkettfußboden verteilt. An den Wänden entlang hingen Porträts von Frauen, gekleidet nach jeder Mode, von den steifen Hauben des späten Mittelalters über die Spitzenkragen der Restauration bis zu den gepuderten Perücken, die die alten Leute immer noch trugen.
»Dies nennt man die Schönheitsgalerie«, sagte Jack. Seine Stimme hallte wider, während er Désirée herumführte. »Für alle Damen, vergangene und gegenwärtige. Natürlich in der Annahme, daß kein Herendon jemals eine Frau heiraten würde, die nicht schön ist, und keine ihrer Frauen würde wagen, von einfacher Herkunft zu sein. Obwohl - dort siehst du meine Schwägerin, die weniger hübsche Lady Strathaven, und nicht einmal Mr. Romney konnte das beschönigen.«
Nachdem sie die selbstgefällige, untersetzte Frau auf dem Porträt betrachtet hatte, konnte Désirée nur zustimmen. Doch Jack war schon weitergegangen und stand jetzt vor einem anderen Bild, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»Ich kann nicht glauben, daß es noch da ist. Ich dachte, wenn mein Vater es zu seiner Zeit nicht abgehängt hat, dann ganz sicher Creighton. Dies ist die fünfte Marquise, Liebling. Meine Mutter.«
Diese Frau war ohne Zweifel eine Schönheit, und der Maler hatte überdies ihr Wesen eingefangen. Er hatte sie auf einem Hügel dargestellt, der Wind fing sich in ihren Röcken, den breitrandigen Hut trug sie in der Hand, das blonde Haar war leicht zerzaust. Aber was Désirée am meisten auffiel, waren die Augen der Marquise, hellblau mit dunklen Wimpern, die sie ihrem Sohn vererbt hatte.
»Sie ist sehr schön«, sagte Désirée und schob ihre Hand unter Jacks Arm.
»Das erzählte man mir. Ich kenne nur dieses Bild von ihr.«
»Ich kann mich auch kaum an meine Mutter erinnern«, sagte Désirée traurig. »Sie starb bei Obadiahs Geburt, als ich drei war.«
Er betrachtete weiterhin das Bild. »Oh, meine Mutter ist nicht tot, jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Als ich alt genug war, um Fragen zu stellen, sagte mir meine Amme, daß Mama wegen ihrer Gesundheit nach Italien gegangen sei. Erst als ich älter war, erfuhr ich, daß sie uns alle wegen eines Liebhabers aus Neapel im Stich gelassen hatte. Was meinen Vater angeht, so kann ich ihr keinen Vorwurf daraus machen. Aber Julia und ich, wir haben uns oft vorgestellt, wie anders unser Leben verlaufen wäre, wenn sie uns mitgenommen hätte.«
Désirée lehnte den Kopf an seine Schulter. Sie spürte seine Anspannung. »Es tut mir leid, Jack.«
»Das muß es nicht«, sagte er betont gleichgültig. »Ihr tut es auch nicht leid.«
In der Hoffnung, über etwas anderes sprechen zu können, sah Désirée sich nach den übrigen Bildern um. »Wo ist Julia? Sicher ist sie auch hier.«
»Nein«, sagte Jack und blickte noch immer auf das Bild seiner Mutter.
Das war alles, nur das eine Wort, trotzdem fühlte Désirée, was sich dahinter verbarg. Zärtlich strich sie über seinen Arm. »Vielleicht sollten wir besser gehen«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Jemand könnte die Pferde
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