Große Liebe Desiree
bemerken.«
Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Der Rundgang hat gerade erst begonnen.«
Jack führte Désirée durch eine Vielzahl großer Räume und deutete dabei auf diesen Gobelin und jene Büste. Oder er erwähnte die Dinge, die verändert worden waren, seiner Ansicht nach immer zum Schlechteren. Selbst nach zwanzig Jahren noch konnte er sich sehr gut an das Haus erinnern, und auch wenn er es ihr gegenüber nicht zugab, war er stolz darauf.
Obwohl sie immer gedacht hatte, daß Jack aus einer Welt käme, die so ganz anders wäre als ihre eigene, wurde ihr jetzt, da sie ihn inmitten all des Reichtums und der Eleganz seiner Familie sah, klar, daß er hier ebensowenig hingehörte wie sie selbst. Oh, er konnte alle Gemälde benennen und wußte die Bezeichnung für jeden einzelnen Raum, aber er war ein Außenseiter, und er würde es immer sein.
Die Aurora war Jacks eigentliches Zuhause, sein Schiff und das Meer, genau wie bei den Sparhawks. Und was seinen Rang anging, so hatte ihm das »Kapitän« vor seinem Namen immer mehr bedeutet, als es der »Lord« jemals getan hatte.
Am Ende einer langen Galerie gab es noch ein letztes Zimmer, klein, gemessen an dem Standard des Hauses. Jack zog hier zum erstenmal den Vorhang an einem der Fenster beiseite. Das Licht der Sonne flutete in den Raum, und in ihren Strahlen sah man die Staubflocken tanzen. Der Blick von dieser Seite des Hauses war atemberaubend. Man sah über alte Gärten hinweg, die zu einem See führten. Auf einer Insel stand ein eigenartiges Gebäude, das einem kleinen Tempel glich.
Während Désirée am Fenster stand, zog Jack den Schonbezug von dem Cembalo, das in der Mitte des Raumes stand. Er schlug einen Akkord an und zuckte bei dem Klang zusammen. Dann versuchte er einen zweiten und einen dritten, schließlich setzte er sich auf die Bank, um die Pedale erreichen zu können, und als Désirée sich überrascht und erfreut umdrehte, spielte er den ersten Satz einer Mozartsonate. Als er damit fertig war, lehnte er sich mit einem Lächeln zurück, aus dem reine Freude sprach, das erste Anzeichen von echtem Glück, seitdem sie das Haus betreten hatten.
Ehe sie etwas sagen konnte, war er aufgestanden und hatte das Cembalo geschlossen. Er strich über den Deckel des Instrumentes, es war beinahe eine Liebkosung. Dann wandte er sich ab und deutete auf das Gemälde über dem Kaminsims. »Du fragtest nach Julia. Da ist sie. Obwohl Mr. Gainsborough beinahe daran verzweifelt wäre, daß sie nie Stillstand, ist es, denke ich, ziemlich gelungen.«
Das Mädchen war jung, kaum mehr als ein Kind. Es war in schlichtes weißes Leinen gekleidet und trug eine rosafarbene Schärpe um die Taille. Sie war halb dem Maler zugewandt, den Kopf spielerisch zur Seite geneigt, und ihr hellblondes Haar fiel über ihre Schulter bis zur Taille hinab. Aber obwohl das Mädchen ganz reizend war, wurde Désirées Blick von dem Jungen neben ihr angezogen.
Er war ein oder zwei Jahre jünger und ebenfalls in Weiß gekleidet. Er trug eine gelbe Schärpe, der Kragen seines Hemdes war offen, und die Ärmel waren bis zum Ellenbogen aufgekrempelt. Er war leicht dem Mädchen zugewandt, hielt eine weiße Rose in der Hand, und in seinem Blick lag grenzenlose Bewunderung.
»Das bist du neben ihr, nicht wahr, Jack?« fragte Désirée.
»Ich bin erstaunt, daß mein Vater es behalten hat oder mich nicht wenigstens hat herausschneiden lassen. Aber selbst damals waren Arbeiten von Gainsborough nicht billig, und ich denke, der alte Mann legte mehr Wert auf seine Investition als auf mich.« Jacks Züge wurden weich, während er auf das Bild blickte. »Aber Julia wiederzusehen - ja, das macht es jeden Shilling wert, nicht wahr?«
»Gibt es keine Bilder, auf denen sie erwachsen ist? Sie muß sogar noch schöner als deine Mutter gewesen sein.«
»Das war das letzte Bild vor ihr.« Er wandte sich von dem Gemälde ab, ging zum Fenster und betrachtete den See mit dem Tempel. Wieder stand er breitbeinig da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, in der vertrauten Art, die Désirée aus jener Zeit kannte, die sie gemeinsam auf dem Achterdeck der Aurora verbracht hatten. Aber diesmal war er nicht entspannt, sie merkte es, als er die Hände unsicher immer wieder öffnete und schloß.
Er mußte es ihr sagen. Er hatte es noch niemandem erzählt, aber sie sollte es hören, damit sie ihn verstand. Sie würde es verstehen, denn sie liebte ihn, und sie würde ihn nicht tadeln, wie es die anderen getan hätten.
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