Große Seeschlachten - Wendepunkte der Weltgeschichte
starb.
Der Seeheld im Brandy
Die britische Flotte hatte die Schlacht zwar gewonnen und dabei kein eigenes Schiff verloren, doch zum Ausruhen blieb nur wenig Zeit. Eine neue Gefahr drohte: Das schon lange erwartete schwere Wetter zog auf. Viele britische Schiffe waren stark beschädigt worden und in einem kaum besseren Zustand als die fast zu Wracks geschossenen und erobertenPrisen. Auch Collingwood, der nach Nelsons Tod Oberkommandierender der schwer angeschlagenen britischen Flotte wurde, musste seine fast völlig entmastete
Sovereign
gegen ein anderes Schiff tauschen. Er stand vor mehreren schweren Entscheidungen. Sollte er ankern, wie Nelson noch befohlen hatte? Doch wo unter Land gehen, um das zu tun? Hatte er genug Leute, um die eigenen Schiffe einigermaßen gegen den Sturm zu rüsten, ganz abgesehen von den 17 eroberten Linienschiffen der alliierten Flotte mit den Tausenden von Gefangenen an Bord? Ihm blieb eigentlich keine Wahl, denn zu schnell hätte er auf Legerwall geraten können und wäre mit all seinen Schiffen an der Küste zerschellt. Er musste vom Land weg, weiter auf die See hinaus. Was die alliierte Flotte, deren Überreste wenigstens den Hafen von Cadiz ansteuern konnten, nicht geschafft hatte, wäre fast dem auf die Schlacht folgenden Orkan gelungen: die britische Flotte zu vernichten.
Die Schlacht von Trafalgar wurde in einem von allen unerwarteten zweiten Akt ein weiteres Mal gewonnen: von der unglaublichen Härte und Durchhaltekraft der englischen Seeleute während der nächsten Stunden und Tage. Nicht ein einziges britisches Schiff ging während des Sturmes verloren. Doch für die Prisen blieben nicht mehr genügend Kapazitäten übrig. Hilflos trieben die eroberten Schiffe im Wert von über einer Million Pfund durch den Sturm, nachdem man die Schlepptrossen hatte kappen müssen. Die
San Augustin
und die
Santissima Trinidad
sanken mit vielen Hundert Seeleuten an Bord. Auch die
Redoutable
und die
Bucentaure
teilten dieses Schicksal.
Nach fast einer Woche Sturm gewann die britische Flotte vor Trafalgar auch den Kampf gegen die Elemente. Die Liste der Verluste verzeichnete insgesamt bei der britischen Flotte 449 Tote oder Vermisste und 1204 Verwundete. Die spanische Flotte zählte 1000 Tote und rund 1400 Verwundete. Frankreich verlor mehr als 3000 Mann, und mehr als 1000 Seeleute wurden verwundet. Die Gesamtzahl der spanischen und französischen Gefangenen belief sich auf rund 20.000 Mann. Die meisten Opfer hatten allerdings nicht britische Geschosse gefordert, sondern der Sturm. Die Seeleute waren beim Untergang oder Stranden der Schiffe ertrunken.
Die Leiche Horatio Nelsons wurde, seinem Wunsch entsprechend, nicht wie die aller anderen Schlachttoten über Bord geworfen. Zur Konservierung für eine Reise nach England steckte man die bis auf ein Hemdentkleidete Leiche in ein Fass mit Brandy, das am Großmast der
Victory
festgebunden wurde. In Gibraltar tauschte man den Brandy gegen reinen Alkohol, denn schon während des Sturms hatten die Gase der einsetzenden Verwesung den Deckel des Fasses angehoben, was den dabeistehenden Ehrenposten in Panik versetzte. Anfang Dezember 1805 erreichte die
Victory
Portsmouth, wo man die Leiche obduzierte und die Kugel entfernte, an der immer noch Uniformreste hafteten. Nelsons Todeskugel kann man heute auf Schloss Windsor sehen, seine durchschossene Uniform im Nationalen Marinemuseum von Greenwich. In einem Sarg, den man aus dem Holz des Großmastes der
L’Orient
gefertigt hatte, transportierte man die Leiche nach London, wo sie in einem pompösen Staatsakt am 9. Januar 1806 in der St.-Pauls-Kathedrale beerdigt wurde. Da Frauen nicht zugelassen waren, fehlten dabei sowohl seine Geliebte Emma als auch seine Tochter Horatia sowie seine Ehefrau Fanny.
Um den schon zu seinen Lebzeiten verehrten Helden entwickelte sich postum ein regelrechter Personenkult. Dessen Höhepunkt stellt die 56 Meter hohe Säule am Trafalgar Square dar. Allein in London gibt es heute rund fünfzig Nelsonplätze, -straßen und -wege. Bilder seiner Person, seiner Taten, seines Todes, ja, sogar seiner Apotheose wurden gemalt. Sein Antlitz und Name schmückten Büsten, Tassen, Teller, Schals, Dosen und allerlei weiteren Nippes. Es setzte eine Legendenbildung ein, die den Charakter eines Mythos annahm und die Nelson in einem idealisierten Bild als unfehlbaren strahlenden Helden zeigte. Die Züge des Fanatikers, der, wie Earl St. Vincent 1814 schrieb, mit «animalischem Mut»
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