Große und kleine Welt (German Edition)
gewiss auf die Kunst der Uebergaenge, da jene so politisch bewegte Zeit ueberhaupt eine Zeit der Uebergaenge war. Jedesmal aber muessen wir demjenigen ein seltenes Verdienst zuerkennen, der seine Zeit zu beurteilen versteht. Jenes Gewand, an dessen Schnitt sich noch mancher in unserer Zeit erinnert, war weder buergerlich noch militaerisch, konnte aber nach dem Beduerfnis abwechselnd fuer buergerlich und fuer militaerisch gelten. Lilien waren auf die Umschlaege der beiden Schoesse gestickt, die vergoldeten Knoepfe waren gleichfalls mit Lilien geschmueckt, und auf den Schultern erblickte man Knoepfe, um die Epauletten zu befestigen. Hose und Rock des Greises waren von koenigsblauem Tuche, und in dem Knopfloch erblickte man ein Ludwigskreuz. Das entbloesste Haupt des Greises war gepudert, und in der Hand trug er einen dreieckigen Hut. Uebrigens schien er noch so ruestig wie ein Fuenfziger und sich einer kraeftigen Gesundheit zu erfreuen. Seine Zuege deuteten gleichzeitig auf den gesetzten und offenen Charakter der alten Emigranten und auf die freien und leichten Sitten, auf die heitern und sorglosen Leidenschaften jener Musketiere, die vordem in den Jahrbuechern der Galanterie so beruehmt waren. Seine Bewegungen, sein Benehmen deuteten darauf, dass er den Anspruechen seiner Jugend noch nicht entsagt habe und entschlossen sei, weder von seinem Royalismus abzulassen, noch von seiner Religion und seiner Neigung zu Liebeshaendeln.
Ihm folgte eine ganz phantastische Gestalt, die man in den Vordergrund des Gemaeldes heben muesste, um sie richtig zu schildern, die jedoch nur eine Nebenrolle spielt. Man denke sich eine trockene und hagere Person, ebenso gekleidet wie ersterer, aber gewissermassen nur als dessen Widerschein, oder, wenn man lieber will, als dessen Schatten auftretend. Der Rock, der bei jenem neu war, erschien bei diesem abgenutzt, der Puder in den Haaren weniger weiss, die goldenen Lilien weniger glaenzend, der Verstand schwaecher, das Leben dem Endziel naeher gerueckt. Kurz, er verwirklichte auf bewundernswuerdige Weise Rivarols witzigen Ausspruch in Bezug auf Champcenetz: "Er ist mein Mondschein!" Er war nur Doppelgaenger des andern, aber blass und arm, und zwischen beiden war ein Unterschied, wie zwischen dem ersten und dem letzten Abzuge einer Lithographie. Dieser stumme Greis war ein Geheimnis fuer den Maler und blieb auch ein solches, denn er sprach nicht und niemand sprach von ihm. War er ein Freund, ein armer Verwandter, ein Mann, der bei dem alten Stutzer blieb, wie ein Gesellschaftsfraeulein bei einer alten Dame? War er ein Mittelding zwischen Hund, Papagei und Freund? Hatte er das Vermoegen oder auch nur das Leben seines Wohltaeters gerettet? War er der Trim eines neuen Kapitaen Toby? An anderen Orten, als bei der Baronin von Rouville erregte er stets Neugierde, ohne sie je zu befriedigen.
Der Mann, der von den beiden Ruinen am besten erhalten war, ging hoeflich auf die Baronin von Rouville zu, kuesste ihre Hand und setzte sich an ihre Seite; der andere begruesste dieselbe und setzte sich dann neben sein Vorbild. Adelaide stuetzte ihre Ellenbogen auf die Rueckenlehne des Stuhles, den der alte Edelmann eingenommen hatte, und ahmte so, ohne es zu wissen, die Stellung nach, die Guerin auf seinem beruehmten Gemaelde der Schwester Dido's gegeben hat. Die Vertraulichkeit des Edelmanns war die eines Bruders, und er nahm sich gewisse Freiheiten gegen Adelaide heraus, die dem jungen Maedchen fuer den Augenblick zu missfallen schienen.
"Nun, Du schmollst wohl mit mir?" fragte er.
Dann warf er waehrend seines weiteren Gespraechs auf Hippolyt Schinner jene schlauen und feinen Seitenblicke, die echt diplomatische Blicke sind, und deren Ausdruck stets eine kluge Besorgnis verraet.
"Sie sehen hier unsern Nachbarn," sagte die alte Dame, indem sie auf
Hippolyt Schinner deutete. "Der Herr ist ein bekannter Maler, dessen
Namen Ihnen trotz Ihrer Gleichgueltigkeit gegen die Kuenste bekannt sein
muss."
Der Edelmann erkannte die Bosheit seiner alten Freundin darin, dass sie den Namen verschwieg, und begruesste den jungen Mann.
"Gewiss!" sagte er, "ich habe schon viel von Ihren Gemaelden sprechen gehoert…. Das Talent hat schoene Vorrechte, mein Herr," fuhr er dann fort, waehrend er auf Hippolyts rotes Band blickte, "und diese Auszeichnung, die wir durch unser Blut und lange Dienstzeit erwerben muessen, erlangen Sie schon in der Jugend…. Allein die Arten des Ruhms sind Schwestern." Der Edelmann fasste dabei an sein
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