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Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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erroetend:
    "Ich bin nicht gross genug…. Haetten Sie vielleicht die Guete?"
    Ein Gefuehl der Scham, das sich im Ausdruck der Zuege und im Ton der Stimme Adelaidens verriet, war der wahre Grund ihrer Bitte; Hippolyt begriff sie und warf ihr einen jener verstaendigen Blicke zu, die die suesseste Sprache der Liebe sind. Adelaide sah, dass sie von dem Maler verstanden sei und schlug daher ihre Augen mit einer Bewegung des Stolzes nieder, dessen Geheimnis allein die jungen Maedchen besitzen.
    Der Maler fand kein Wort zu sagen, war fast eingeschuechtert und nahm das Gemaelde herab, um es mit ernsten Blicken am Fenster zu betrachten. Dann ging er, ohne etwas anderes zu Fraeulein Leseigneur zu sagen, als: "Ich werde es Ihnen bald wiederbringen." Beide hatten waehrend dieses fluechtigen Augenblicks eine von jenen lebhaften Herzensregungen gefuehlt, deren Wirkung auf den Geist mit jener Bewegung verglichen werden kann, die ein Stein hervorbringt, den man in einen See wirft, die suessesten Gedanken entstehen und folgen einander, endlos, vielfach, ohne Ziel, und das Herz, ebenso erregt wie jene kreisfoermigen Wellen, die sich noch lange auf der Oberflaeche des Wassers zeigen und saemtlich von dem Punkte ausgehen, wo der Stein hineingeworfen ist.
    Hippolyt Schinner kehrte mit dem Bilde in seine Werkstatt zurueck. Dass eine Leinwand bereits auf der Staffelei lag, dass die Palette bereits mit Farben bedeckt war, dass er die Pinsel gereinigt, zurechtgelegt, und das richtige Tageslicht gewaehlt hatte, brauchen wir wohl nicht erst zu sagen. Bis zur Essenszeit arbeitete er an dem Bilde mit jenem Eifer, den die Kuenstler bei allen ihren Launen beweisen. Abends besuchte er wieder die Baronin von Rouville und blieb von neun bis elf Uhr; ausser eine Abwechslung in den Gegenstaenden der Unterhaltung, glich dieser Abend in allem dem vorhergehenden. Die beiden alten Herren erschienen wieder zu derselben Stunde; es wurde abermals Pikett gespielt, dieselben Redensarten wurden von den Spielern ausgesprochen; selbst die verlorene Summe war die naemliche; nur war Hippolyt etwas kuehner und wagte mit dem jungen Maedchen zu plaudern.
    So vergingen acht Tage, waehrend deren die Gefuehle des Malers und Adelaidens jene wonnigen und suessen Umbildungen erfuhren, durch die die Herzen zu einem vollkommenen Verstaendnis gefuehrt werden. Der Blick, mit dem Adelaide den Maler empfing, wurde von Tag zu Tag inniger, vertrauensvoller, heiterer und offenherziger, ihre Stimme, ihr Benehmen nahm etwas Vertrauliches und Inniges an. Beide lachten, plauderten, teilten sich ihre Gedanken mit und sprachen ueber sich selbst mit der Unschuld zweier Kinder, die in einem Tage mit ihrer Bekanntschaft soweit gediehen, als haetten sie einander seit drei Jahren gekannt. Hippolyt spielte Pikett, aber wie der Greis verlor auch er fast alle Partien. Ohne sich noch ihre Liebe gestanden zu haben, wussten die beiden Liebenden schon, dass sie einander angehoerten. Hippolyt hatte mit Glueck eine gewisse Macht ueber seine schuechterne Freundin erlangt und manche Zugestaendnisse waren ihm durch Adelaide gemacht, die furchtsam und ergeben war, und durch jenes falsche Schmollen getaeuscht wurde, dessen Geheimnis auch der am wenigsten gewandte Liebhaber, die kindlichste Jungfrau besitzt und fortwaehrend anwendet, gleich wie verhaetschelte Kinder die Macht missbrauchen, die ihnen die Liebe ihrer Muetter verleiht. Jene Vertraulichkeit zwischen dem Edelmanne und Adelaide hoerte infolgedessen auf. Das junge Maedchen hatte natuerlicherweise die Traurigkeit des Malers erraten und alle die Gedanken, die in den Falten seiner Stirn verborgen waren oder sich verrieten durch den kurzen Ton der wenigen Worte, die er sprach, wenn der Greis ohne Umstaende Adelaidens Haende oder Hals kuesste. Fraeulein Leseigneur verlangte auch ihrerseits von ihrem Liebhaber eine strenge Rechenschaft ueber seine geringsten Handlungen. Sie war so ungluecklich, so besorgt, wenn Hippolyt nicht kam; sie verstand so allerliebst zu zanken, dass der Maler seine Freunde nicht mehr besuchte und alle anderen Gesellschaften vermied. Adelaide liess die dem weiblichen Geschlecht angeborene Eifersucht durchblicken, als sie erfuhr, dass Hippolyt, wenn er sich um elf Uhr von Frau von Rouville entfernte, bisweilen noch in den glaenzendsten Salons von Paris Besuche abstattete. Anfangs gab sie vor, dass diese Lebensart fuer die Gesundheit nachteilig sei; dann fand sie Gelegenheit, ihm mit jener tiefen Ueberzeugung, der der Ton, das

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