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Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Benehmen und der Blick einer geliebten Person soviel Gewalt verleihen, zu sagen, "dass ein Mann, der verpflichtet sei, zwischen so vielen Frauen seine Zeit und die Anmut seines Geistes zu zersplittern, keiner wahrhaft innigen Zuneigung faehig sei". Nun wurde Hippolyt sowohl durch den Despotismus der Leidenschaft, wie durch die Anforderungen des liebenden jungen Maedchens veranlasst, nur in dieser kleinen Wohnung zu leben, in der ihm alles gefiel. Kurz, nie gab es eine reinere und zugleich heissere Liebe. Von beiden Seiten wurde dasselbe Zutrauen, dasselbe Zartgefuehl gezeigt, so dass diese jungfraeuliche Leidenschaft ohne jene Opfer sich entwickelte, durch die sich viele Leute ihre Liebe zu beweisen suchen. Es bestand zwischen ihnen ein bestaendiger Austausch suesser Gefuehle, und sie wussten nicht, wer dabei mehr gab oder empfing; eine unwillkuerliche Neigung verband ihre Herzen immer enger. Die Fortschritte dieses wahren Gefuehls geschahen so schnell, dass schon zwanzig Tage nach dem Zufall, durch den Hippolyt seine junge Nachbarin kennen gelernt hatte, ihr beiderseitiges Leben ein einziges geworden war. Vom fruehen Morgen an, wenn das junge Maedchen die Schritte des Malers hoerte, konnte es sagen: "Er ist in meiner Naehe!" Wenn Hippolyt um die Zeit des Mittagessens zu seiner Mutter zurueckkehrte, so verfehlte er nie, seine Nachbarinnen zu begruessen, und des Abends erschien er zu der gewoehnlichen Stunde mit einer Puenktlichkeit, wie sie nur ein Liebhaber zeigen kann. Ein Maedchen, das die hoechsten Anforderungen in der Liebe stellt, haette dem jungen Maler nicht den geringsten Vorwurf machen koennen. Adelaide genoss daher ein Glueck ohne Truebung und ohne Grenzen, als sie das Ideal verwirklicht sah, das sich jedes junge Maedchen in ihrem Alter traeumt.
    Der alte Edelmann erschien jetzt weniger oft, und Hippolyt, der nicht mehr eifersuechtig auf ihn war, ersetzte ihn beim Spiel, aber auch mit stets gleichem Unglueck.
    Inmitten seines Gluecks dachte er jedoch an die unangenehme Lage der Frau von Rouville, denn er hatte mehr als einen Beweis ihrer Armut erlangt, und vermochte daher einen unangenehmen Gedanken nicht zu verbannen; schon oefter hatte er beim Gehen gedacht: "Wie! Alle Abend zwanzig Franken!?…" Er wagte indes nicht, sich einen so haesslichen Verdacht einzugestehen.
    Hippolyt verwandte einen ganzen Monat auf die Vollendung des Bildes. Als es beendet, gefirnisst und eingerahmt war, betrachtete er es als eines seiner besten Werke. Die Baronin von Rouville hatte nicht wieder mit ihm darueber gesprochen. War es Sorglosigkeit oder Stolz? Der Maler wollte sich dieses Schweigen nicht erklaeren.
    Er kam mit Adelaide dahin ueberein, dass er das Bild waehrend der Abwesenheit der Frau von Rouville an seine Stelle haengen wolle. Es wurde dazu der achte Juli gewaehlt, und waehrend eines Spazierganges, den die Mutter taeglich nach den Tuilerien unternahm, begab sich Adelaide allein und zum ersten Male in Hippolyts Werkstatt, unter dem Vorwand, das Bild in der guenstigen Beleuchtung zu sehen, in der es vollendet war. Sie blieb stumm und unbeweglich stehen und versank in eine wonnige Betrachtung, waehrend der alle ihre weiblichen Gefuehle in ein einziges verschmolzen, in die gerechte Bewunderung des geliebten Mannes. Als sich der Maler, beunruhigt durch dieses Schweigen, vorneigte, um dem jungen Maedchen ins Gesicht zu schauen, reichte sie ihm die Hand, ohne ein Wort sagen zu koennen; zwei Traenen rannen aus ihren Augen. Hippolyt ergriff ihre Hand und bedeckte sie mit Kuessen. Einen Augenblick lang betrachteten sie sich schweigend, wollten sich ihre Liebe gestehen und wagten es dennoch nicht. Der Maler hatte Adelaidens Hand in der seinigen behalten und erkannte aus der Gleichheit der Waerme und des Pulsschlages, dass ihre beiden Herzen gleich stark fuer einander schlugen. Das junge Maedchen entfernte sich sanft von Hippolyt und sagte mit einem kindlichen Blick: "Sie werden meine Mutter sehr gluecklich machen!…"
    "Wie? Nur Ihre Mutter?" fragte er.
    "Oh!… Ich … ich bin es schon…."
    Der Maler senkte seine Blicke und schwieg, erschreckt durch die Heftigkeit der Gefuehle, die diese Worte in seinem Herzen erweckt hatten. Beide begriffen die Gefahr dieses Augenblicks und begaben sich daher hinunter, um das Bild an seinen Platz zu haengen.
    Hippolyt speiste zum ersten Mal mit der Baronin und ihrer Tochter. Frau von Rouville war so geruehrt, dass sie dem Maler haette um den Hals fallen koennen. Abends erschien der alte

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