Große und kleine Welt (German Edition)
Uniform erhoehte noch die Anmut seines Koerpers, der durch den Dienst zu Pferde nicht entstellt war, sondern vielmehr die noetige Fuelle erlangt hatte, die fuer seine koerperlichen Verhaeltnisse passte. Ein schwarzer Schnauzbart vollendete den aufrichtigen Ausdruck seines nicht militaerischen Antlitzes, dessen Stirn breit und offen war. Unter der Adlernase zeigten sich die purpurroten Lippen seines Mundes. In dem Benehmen des Obersten lag ein gewisser Adel, den er der Gewohnheit des Befehlens verdankte, und der sehr wohl einer Frau gefallen konnte, die keinen Sklaven aus ihrem Manne zu machen wuenschte. Der Oberst laechelte, indem er dem Requetenmeister, der einer seiner besten Freunde vom Kollegium her war, nachblickte und sah, wie wenig gut dieser gewachsen war.
Der Baron Martial de la Roche-Hugon war ein junger Provencale von etwa dreissig Jahren, den Napoleon damals mit ausserordentlichen Gunstbeweisen auszeichnete. Martial schien zu irgendeinem wichtigen Gesandtschafts- posten bestimmt. Er besass in hohem Grade den Geist der Intrige, jene Beredsamkeit des Salons und jene Gewandtheit des Benehmens, die so leicht die weniger glaenzenden Eigenschaeften eines soliden Mannes ersetzten. Die lebhaften Zuege seines Gesichts, dessen Hautfarbe unter den dichten Locken eines Waldes von schwarzen Haaren noch weisser erschien, als sie wirklich war, verrieten viel Geist und Anmut.—Die beiden Freunde waren gezwungen, sich zu trennen, indem sie sich herzlich die Haende drueckten, denn die Toene des Orchesters gaben den Damen das Zeichen, dass die Quadrillen des vierten Contretanzes gebildet werden sollten, und alle Maenner mussten sich daher aus dem weiten Raume entfernen, den sie bisher in der Mitte des Salons eingenommen hatten.
Die fluechtige Unterhaltung der Freunde war waehrend der Ruhepause gefuehrt worden, die stets die Contretaenze trennt, und zwar vor einem Kamin von weissem Marmor, einer prachtvollen Zierde des groessten der drei Salons im Hotel Gondreville. Die meisten Fragen und Antworten dieser Plauderei hatten die beiden Sprechenden einander ins Ohr gefluestert. Allein die Girandolen und Leuchter, mit denen der Kamin verschwenderisch geschmueckt war, ergossen so reichliche Stroeme von Licht ueber den Oberst und den Requetenmeister, dass ihre zu lebhaft erleuchteten Gesichter trotz einer diplomatischen Selbstbeherrschung den Ausdruck der Gefuehle den schlauen Augen der Frau von Vaudremont und den aufrichtigen Blicken der jungen Unbekannten nicht zu verhehlen vermochten. Bei Leuten, die gern die Gefuehle anderer entdecken, bildet es eines der groessten Vergnuegen, beim Besuch von Gesellschaften die Gedanken auszukundschaften, und sie gelangen dadurch oft zu koestlichen Genuessen, waehrend andere sich langweilen, ohne dass sie es wagen, ihre Langeweile zu gestehen. Um das geheime Interesse zu begreifen, das in der Unterhaltung liegt, mit der diese Erzaehlung beginnt, muessen wir notwendig ein Ereignis kennen lernen, das ein fast unbedeutendes scheinen koennte, das aber dennoch durch unsichtbare Bande die Personen dieses kleinen Dramas vereinigte, obgleich sie in den Salons zerstreut waren, die von dem Geraeusch des glaenzenden Festes widerhallten.
Dieses Ereignis hatte sich einige Minuten frueher zugetragen, als der Oberst und Baron Martial miteinander sprachen. Etwa um elf Uhr abends, als die Taenzerinnen ihre Plaetze einnahmen, sah die glaenzende Versammlung im Hotel Gondreville die schoenste Frau von Paris erscheinen, die Koenigin der Mode, die einzige, die noch bei der Versammlung gefehlt hatte. Sie hatte es sich zum Gesetz gemacht, nie eher zu erscheinen, als in dem Augenblick, wo sich die Salons in festlicher Erregung befanden, in jenem anmutigen Tumult, waehrenddessen es den Damen nicht moeglich ist, ihre Aufmerksamkeit lange auf die Frische der verschiedenen Gesichter oder auf die Schoenheit der Toiletten zu richten. Dieser fluechtige Augenblick ist gleichsam der Fruehling eines Balles, eine Stunde spaeter ist die Freude vergangen, die Ermattung tritt ein, und alles welkt. Frau von Vaudremont verfiel daher niemals in den grossen Fehler, so lange auf einem Ball zu bleiben, bis die Blumen sich neigten, die Locken schlaff wurden, der Spitzenbesatz zerknittert war und das Antlitz jenen Ausdruck annahm, der die Folge einer durchschwaermten Nacht ist und nie verborgen bleibt. Sie huetete sich wohl, den Fehler ihrer Nebenbuhlerinnen zu begehen und das Ablassen ihrer Schoenheit bemerken zu lassen. Sie wusste
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