Große und kleine Welt (German Edition)
dem die Graefin von Gondreville frei schien, um sie selbst nach dem Namen der raetselhaften Dame zu fragen, als er eine leichte Luecke zwischen der Saeule des Kandelabers und den Divans, die zu beiden Seiten standen, bemerkte.
Der unerschrockene Kuerassier benutzte den Augenblick, waehrenddessen der Contretanz einen grossen Teil der Stuehle leer liess, die eine dreifache Festungslinie bildeten, welche jetzt nur noch von Muettern und Frauen eines gewissen Alters verteidigt wurde, und er wagte durch diese mit farbigen Schals und gestickten Taschentuechern bedeckten Palisaden durchzudringen.
Er begruesste einige Witwen, und von Dame zu Dame, von Hoeflichkeit zu Hoeflichkeit, gelangte er endlich zu dem Platz der Unbekannten, den er erspaeht hatte. Auf die Gefahr hin, an den Klauen und Chimaeren des gewaltigen Leuchters haengen zu bleiben, errang er sich eine Stelle unter den Flammen der Wachskerzen, waehrend ihn Martial mit grosser Unzufriedenheit anblickte. Der Oberst war zu gewandt, als dass er ohne weiteres die kleine blaue Dame haette anreden sollen, die zu seiner Rechten sass; dagegen wandte er sich zunaechst an eine ziemlich haessliche, links von ihm sitzende Dame und sagte zu ihr: "Das ist ein herrlicher Ball, meine Dame! Welche Pracht, welches Leben! Auf Ehre, es sind hier nur schoene Damen versammelt. Warum tanzen Sie aber nicht?… Sie haben gewiss recht boshafte Koerbe ausgeteilt."
Die geschmacklose Unterhaltung, in die sich der Oberst einliess, hatte nur den Zweck, seine Nachbarin zur Rechten in ein Gespraech, zu ziehen. Sie blieb aber stumm und in Gedanken versunken und schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit. Der Offizier wurde von einem sonderbaren Staunen ergriffen, als er die Unbekannte wie in einer vollkommenen Erstarrung sah. Er bemerkte sogar Traenen in dem blauen Kristall ihrer Augen, und sein Staunen kannte keine Grenzen mehr, als er bemerkte, dass die Aufmerksamkeit der betruebten jungen Dame nur durch Frau von Vaudremont gefesselt wurde.
"Madame ist ohne Zweifel verheiratet?" fragte er endlich.
"Ja, mein Herr."
"Ihr Herr Gemahl ist ohne Zweifel ebenfalls hier anwesend?"
"Ja, mein Herr."
"Und warum bleiben Sie so an Ihrem Platz? Etwa aus Koketterie?…"
Die Unbekannte laechelte traurig.
"Geben Sie mir die Ehre, bei dem naechsten Contretanz meine Taenzerin zu sein! Ich werde Sie gewiss nicht an diesen Platz zurueckfuehren; ich sehe neben dem Kamin eine leere Gondole, und dort sollen Sie fuer den Rest des Abends ihren Sitz haben. Waehrend so viele Damen hier zu glaenzen suchen und die Narrheit des Tages ihre Kroenung feiert, begreife ich Sie nicht, warum Sie sich weigern wollten, die Koenigin des Balles zu werden, wozu Ihnen Ihre Schoenheit die gerechtesten Ansprueche bietet."
"Mein Herr, ich werde nie tanzen." Die sanfte, aber kurze Betonung der lakonischen Antworten, die die Unbekannte gab, war so entmutigend, dass sich der Oberst gezwungen sah, den Platz zu verlassen. Martial hatte waehrend des Tanzens nicht nur die letzte Bitte des Obersten erraten, sondern auch die abschlaegige Antwort, die er erhielt, weshalb er laechelte und sein Kinn streichelte, indem er dabei den Diamant an seinem Finger erglaenzen liess.
"Worueber lachen Sie?" fragte ihn die Graefin.
"Ueber den Misserfolg des armen Obersten. Er hat einen Holzweg betreten…."
"Ich hatte Sie gebeten, den Diamant abzunehmen," bemerkte darauf die
Graefin.
"Ich habe es nicht gehoert."
"Sie hoeren aber heute abend auch gar nichts, Herr Baron!…" antwortete
Frau von Vaudremont sehr gereizt.
"Sehen Sie den jungen Mann dort, der einen sehr schoenen Diamanten am
Finger traegt," sagte in diesem Augenblicke die Unbekannte zu dem
Obersten, der sich eben entfernen wollte. "Es ist ein prachtvoller
Diamant," antwortete dieser. "Der junge Mann ist der Baron Martial de
la Roche-Hugon, einer meiner vertrautesten Freunde."
"Ich danke Ihnen, dass Sie mir diesen Namen genannt haben," versetzte die Unbekannte. "Er scheint mir sehr liebenswuerdig!…" fuhr sie fort.
"Ja, allein er ist ein wenig leichtsinnig."
"Man koennte glauben, dass er mit der Graefin von Vaudremont sehr vertraut sei!…" versetzte die junge Dame und sah den Obersten fragend an.
"Er wird sich mit ihr verheiraten." Die Unbekannte erbleichte. "Zum
Teufel!" dachte der Krieger, "sie liebt diesen verdammten Martial!"
"Ich glaubte, Frau von Vaudremont stehe seit laengerer Zeit in einem Verhaeltnis mit Herrn von Soulanges?…" versetzte die junge Dame, indem sie sich
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