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Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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einer alten Frau. Frau von Marigny richtete daher, um den Kampf anzufachen, einen sardonischen Blick auf Frau von Vaudremont. Dieser schreckliche Blick liess die junge Kokette befuerchten, ihr Los moege in die Haende der Witwe geraten. Es gibt in der Tat Blicke, die ein Weib dem andern zuwirft, die gleichsam tragische Fackeln sind, welche den naechtlichen Ausgang eines Dramas beleuchten. Man muesste die Exherzogin genauer kennen, um den ganzen Schrecken zu wuerdigen, den das Spiel ihrer Physiognomie der Graefin einfloesste. Frau von Marigny war hoch gewachsen, und wenn man sie sah, so musste man sagen: "Die Frau ist gewiss huebsch gewesen!" Sie verbarg die Runzeln ihrer Wangen durch eine so starke Auflage von Rot, dass sie fast gar nicht sichtbar wurden, allein ihre Augen empfingen keinen kuenstlichen Glanz durch dieses satte Karmin, sondern wurden dadurch nur noch duesterer. Sie trug eine Menge von Diamanten und kleidete sich mit hinreichendem Geschmack, um nicht laecherlich zu erscheinen. Ihr Mund war durch ein kuenstliches Gebiss verschoent und daher keineswegs eingefallen, sondern zeigte nur einen ironischen Zug, der ihr eine Aehnlichkeit mit Voltaire gab. Ihre spitze Nase deutete auf scharfen Witz, aber dennoch milderte die ausgesuchte Feinheit ihres Benehmens den Spott ihrer Einfaelle so sehr, dass man sie nicht der Bosheit beschuldigen konnte.
    Ein triumphierender Blick belebte die beiden grauen Augen der alten
Dame und schien den Salon zu durchfliegen, um das Rot der Hoffnung auf
die bleichen Wangen der kleinen Dame zu ergiessen, die zu den Fuessen des
Kandelabers seufzte. Diesen durchdringenden Blick begleitete ein
Laecheln, das zu sagen schien: "Das hatte ich Ihnen bereits verheissen!"
    Diese unvorsichtige Enthuellung einer Verbindung, die zwischen Frau von Marigny und der Unbekannten bestand, vermochte dem geuebten Auge der Graefin von Voudremont nicht zu entgehen. Sie erblickte ein Geheimnis und wollte es durchdringen. Die Neugierde verringerte ihren voruebergehenden Schmerz.
    In diesem Augenblick hatte der Baron de la Roche-Hugon die ganze Reihe der alten Witwen durchgemacht, um den Namen der blauen Dame zu erfahren, aber gleich vielen Altertuemlern hatte er sein ganzes Latein bei diesen ungluecklichen Nachforschungen verloren. In seiner Verzweiflung hatte er sich sogar an die Graefin von Gondreville gewandt; aber auch von ihr nur wenig befriedigende Antwort erhalten: "Es ist eine Dame, die mir von der ehemaligen Herzogin von Marigny vorgestellt wurde…."
    Nun wandte sich der Requetenmeister schnell zu dem Armstuhle, den die alte Dame einnahm, und ueberraschte sie bei jenem Blick des Einverstaendnisses, der mit der Unbekannten gewechselt wurde. Die Faerbung, die sich ueber die Wangen der einsamen Dame ergoss, verlieh ihr einen solchen Glanz, dass der Requetenmeister, bewegt durch den Anblick einer so maechtigen Schoenheit, zu Frau von Marigny zu treten beschloss, obgleich er seit einiger Zeit ziemlich schlecht mit ihr gestanden hatte. Als die Herzogin den Baron um ihren Armstuhl herumschweifen sah, laechelte sie mit sardonischer Bosheit und blickte mit einer so triumphierenden Miene auf Frau von Voudremont, dass der Oberst darueber laechelte. "Sie nimmt eine freundliche Miene an, die alte Zigeunerin," dachte er, "sie wird mir ohne Zweifel einen boesen Streich spielen wollen." "Meine Dame," sagte er, "wie man mir gesagt hat, sind Sie beauftragt, ueber einen koestlichen Schatz zu wachen."
    "Sehen Sie mich fuer einen schwarzen Hund mit gluehenden Augen an?"
fragte die alte Dame und ergoetzte sich fuer einen Augenblick an der
Verlegenheit des jungen Mannes. "Aber von welchem Schatze sprechen
Sie?" fuhr sie dann mit einer suessen Stimme fort, durch die Martial neue
Hoffnung erhielt.
    "Von der kleinen unbekannten Dame, die durch den Neid der koketten Damen in jene Ecke verdraengt ist … Sie sind ohne Zweifel mit ihr bekannt?…."
    "Ja," sagte die Herzogin und laechelte wieder boshaft. "Warum tanzt sie nicht? Sie ist so schoen! Wollen Sie, dass wir Friede miteinander schliessen? Wenn Sie mich ueber das belehren wollen, was ich gern erfahren moechte, so gebe ich Ihnen mein Ehrenwort darauf, dass Ihr Gesuch um Zurueckgabe der Waldungen von Marigny bei dem Kaiser kraeftig unterstuetzt werden soll."
    "Herr Baron," antwortete die alte Dame mit einem truegerischen Ernst, "fuhren Sie mir die Graefin von Vaudremont zu. Ich verspreche Ihnen, dass ich ihr das ganze Geheimnis enthuellen will, das unsere Unbekannte so

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