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Große und kleine Welt (German Edition)

Große und kleine Welt (German Edition)

Titel: Große und kleine Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Soulanges, Martial, die Graefin oder die Unbekannte mit seinen Blicken zu erfassen, und er war daher so heiter, als sei er der Koenig des Festes. Das lebhafte Bild gab ihm ein vollkommenes Gleichnis der Welt und des Lebens; aber er lachte, ohne dass er hinter das Wesen dieser Dinge zu kommen versucht haette. Es war etwa Mitternacht, und die Unterhaltungen, das Spiel, der Tanz, die Selbstsucht, die Bosheit und die verschiedenartigsten Plaene, alles war auf jenem Siedepunkt angelangt, wo sich einem jungen Manne der Ruf entringt: "Es ist doch eine huebsche Sache um einen Ball!…"
    "Mein kleiner Engel," sagte Frau von Marigny zu der Graefin, "ich bin weit aelter, als ich scheine, denn ich zaehle fuenfundsechzig Jahre; ich habe fast ein Jahrhundert gelebt. Sie, meine Liebe, stehen jetzt in einem Alter, in dem ich tausend Fehler begangen habe, und da ich Sie jetzt bittere Qualen erdulden sah, so fiel es mir ein, Ihnen einige liebevolle Winke zu geben. Wer Fehler im zweiundzwanzigsten Jahre begeht, verdirbt sich dadurch seine Zukunft, zerreisst das Kleid, das er erst anziehen soll. Ach, meine Liebe, wir lernen erst zu spaet uns des Gewandes zu bedienen, ohne es zu zerknittern…. Fahren Sie fort, mein schoenes Kind, sich redliche Feinde zu machen und diejenigen als Freunde zu erwerben, die den Geist der Welt nicht besitzen, und Sie sollen sehen, was fuer ein angenehmes Leben Sie fuehren werden!"…
    "Ach, Herzogin, es macht uns recht viel Muehe, gluecklich zu werden!
Nicht wahr?" rief die Graefin kindlich aus.
    "Meine Kleine, man muss es nur verstehen, in Ihrem Alter zwischen dem Vergnuegen und dem Glueck die Wahl treffen zu koennen. Hoeren Sie mich an! Sie wollen Martial heiraten. Er ist aber auf der einen Seite nicht dumm genug, um ein Ehemann zu werden, und auf der anderen Seite nicht gut genug, um sie gluecklich zu machen. Er hat Schulden, meine Liebe!… Er ist ganz der Mann, der Ihr Vermoegen verzehren koennte. Er ist ein Raenkeschmied, der sich ausgezeichnet in die Geschaefte einleben kann, er weiss angenehm zu plaudern, aber er besitzt zu viele Vorteile, als dass er ein wahres Verdienst haben wollte. Er wird nicht weit gehen. Ueberdies, sehen Sie ihn nur an!… Werfen Sie nur einen Blick auf ihn!… Liest man es nicht auf seiner Stirn, dass er in diesem Augenblick keineswegs das huebsche junge Weib sieht, sondern nur die Besitzerin von zwei Millionen?… Er liebt Sie nicht, meine Liebe; er berechnet Sie, als ob es sich um eine Multiplikation handelte. Wenn Sie sich verheiraten wollen, so nehmen Sie einen bejahrten Mann, der zugleich Ansehen geniesst. Eine Witwe darf ihre Wiederverheiratung nicht zu einem Geschaeft der Liebe machen. Faengt man je eine Maus zweimal in derselben Falle? Jetzt muss ein neuer Kontrakt eine Spekulation sein, und wenn Sie sich wieder verheiraten, so muessen Sie dabei wenigstens die Hoffnung haben, sich dereinst Frau Marschallin nennen zu hoeren!" In diesem Augenblick richteten sich die Augen der beiden Damen natuerlich auf das huebsche Antlitz des Obersten. "Wollen Sie die schwierige Rolle einer Kokette spielen und sich nicht wieder verheiraten …" fuhr die Herzogin gutmuetig fort; "ach, meine arme Kleine, dann verstehen Sie besser als jede andere, die Wolken eines Ungewitters zu haeufen und auch wieder zu zerstreuen…. Allein ich beschwoere Sie, machen Sie sich nie eine Freude daraus, den ehelichen Frieden zu stoeren, die Eintracht der Familien und das Glueck der gluecklichen Frauen zu vernichten. Ich habe diese gefaehrliche Rolle gespielt, meine Liebe … und etwas zu spaet habe ich erkennen gelernt, dass, wie jener Diplomat gesagt hat, ein Lachs besser ist als tausend Froesche! Ja, meine Liebe, um einen Triumph der Eigenliebe zu feiern, meuchelt man oft arme tugendhafte Geschoepfe; denn es gibt wirklich tugendhafte Frauen, meine Liebe. Lernen Sie einsehen, dass eine wabrhafte Liebe tausendmal mehr Genuesse gewaehrt, als die vergaenglichen Leidenschaften, die man erregt. Gewiss, ich bin hierhergekommen, um Ihnen eine Predigt zu halten…. Ja, Sie, mein guter kleiner Engel, sind die Ursache, weshalb ich in diesem Salon erschienen bin, der nach Poebel stinkt. Sieht man hier nicht sogar Schauspieler?… Man empfing diese Leute auch sonst, meine Liebe, aber in seinem Boudoir; in einem Salon jedoch, pfui!… Ja, ja, sehen Sie mich nicht so erstaunt an.—Hoeren Sie mich an! Wollen Sie ueber die Maenner lachen," fuhr die alte Dame fort, "so begeistern Sie nur die Herzen derer, die keine

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