Große und kleine Welt (German Edition)
feste Bestimmung haben, die keine Pflichten zu erfuellen haben…. Das ist eine Lehre, die ich meiner alten Erfahrung verdanke; nutzen Sie dieselbe. Dieser arme Soulanges zum Beispiel, dem Sie den Kopf verdreht haben, den Sie seit fuenfzehn Monaten, Gott weiss wie, berauscht haben … ihn haben Sie fuer sein ganzes Leben ungluecklich gemacht. Er ist verheiratet. Er wird von einem kleinen Weibe angebetet, das er auch liebte, aber getaeuscht hat. Soulanges leidet zuweilen an Gewissensbissen, die grausamer sind, als seine Freuden suess waren, und Sie, kleiner Schlaukopf, haben ihn getaeuscht! Kommen Sie nun und sehen Sie Ihr Werk!" Die alte Herzogin fasste die Hand der Frau von Vaudremont, und beide erhoben sich.
"Sehen Sie!" sagte Frau von Marigny zu ihr, indem sie mit den Augen auf die bleiche und zitternde Unbekannte zeigte. "Das ist meine Nichte, die Graefin Soulanges!… Sie hat heute endlich meinen Bitten nachgegeben und ihr Schmerzenszimmer verlassen, in dem ihr der Anblick ihres Kindes nur einen sehr schwachen Trost gewaehrt…. Sehen Sie sie an…. Sie erscheint Ihnen reizend. Beurteilen Sie nun, was sie damals war, als Glueck und Liebe noch ihren Glanz ueber dieses jetzt gewelkte Antlitz verbreiteten!"
Die Graefin wandte schweigend das Haupt und schien in ernstes Nachdenken versunken. Die Herzogin fuehrte sie allmaehlich bis an die Tuer des Spielzimmers, blickte hinein, als suche sie jemand, und sagte dann mit einer fast geisterhaften Stimme zu der jungen Kokette: "Und dort sehen Sie Soulanges!…"
Die junge und glaenzende Graefin schauderte zusammen als sie in der am wenigsten erhellten Ecke des Spielzimmers ein bleiches und verzerrtes Antlitz erblickte. Herr von Soulanges hatte sich in den, Armstuhl zurueckgelehnt. Die Erschlaffung seiner Glieder und die Bewegungslosigkeit seiner Stirn deuteten auf einen hohen Grad des Schmerzes. Er war allein. Die Spieler kamen und gingen an ihm vorueber, ohne ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als einem leblosen Wesen. Er war in der Tat mehr ein Schatten, als ein Mensch.
Der Anblick der trauernden Gattin und des duestern und finstern Gatten, die inmitten dieses Festes von einander getrennt waren, wie die beiden Haelften eines durch den Blitz getroffenen Baumes, erfuellte die Graefin mit grossem Schrecken und boeser Vorahnung. Sie fuerchtete ein Bild dessen zu sehen, was die eigene Zukunft fuer sie aufbewahrte. Ihr Herz war noch nicht so weit verhaertet, dass ihm Empfindsamkeit, und Nachsicht gaenzlich fremd geworden, und sie presste die Hand der Herzogin, waehrend sie ihr mit einem freundlichen Laecheln dankte, in dem eine gewisse kindliche Anmut lag.
"Mein Kind," sagte ihr jetzt die alte Frau ins Ohr, "bedenken Sie fortan, dass wir es ebenso gut verstehen muessen, die Huldigungen der Maenner von uns zu weisen, als sie zu erlangen…."—
"Sie gehoert Ihnen, wenn Sie kein Dummkopf sind!" Diese Worte fluesterte Frau von Marigny dem Obersten ins Ohr, waehrend sich die schoene Graefin ganz dem Mitleid hingab, das der Anblick des Herrn von Soulanges ihr einfloesste. Sie liebte ihn noch aufrichtig genug, um ihn seinem Gluecke wiedergeben zu wollen, und im Herzen versprach sie sich, die unwiderstehliche Macht anzuwenden, die ihre Verfuehrungskuenste noch auf ihn ausuebten, um ihn in die Arme seiner Frau zurueckzufuehren. "O! die Strafreden, die ich ihm halten werde!…" sagte sie zu Frau von Marigny. "Sie werden das nicht tun, meine Schoene, wie ich hoffe!" sagte die Herzogin, waehrend sie sich zu ihrem Armstuhl zurueckbegab. "Waehlen Sie sich dagegen einen braven Ehemann und verschliessen Sie meinem Neffen die Tuer. Vermeiden Sie, ihm in Gesellschaften zu begegnen, und wenn er von seiner Krankheit geheilt ist, so bieten Sie ihm Ihre Freundschaft…. Glauben Sie mir, mein Engel, eine Frau empfaengt nie von einer anderen Frau das Herz ihres Mannes. Sie wird hundertmal gluecklicher sein, wenn sie glauben kann, es durch sich selbst wiedererlangt zu haben, und ich glaube, meiner Nichte ein herrliches Mittel gewaehrt zu haben, durch das sie die Freundschaft ihres Mannes wiedererlangen kann, indem ich sie hierherfuehrte.—Ich verlange keine andere Mithilfe von Ihnen, als dass Sie unsern schoenen Kuerassier-Oberst mit Neckereien der Liebe ueberhaeufen." Bei diesen Worten zeigte sie auf den Freund des Requetenmeisters, und die Graefin lachte.
"Nun, meine Dame, wissen Sie endlich den Namen der Unbekannten?" fragte der Baron auf etwas gereizte Art die Graefin, als diese wieder
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