Große und kleine Welt (German Edition)
Stoerenfried, auf diesem Balle gezeigt hat. Ich moechte lieber den Tod sehen, als dieses Antlitz, das so grausam schoen und zugleich so bleich, so unbeweglich ist, wie eine Geistererscheinung. Frau von Marigny," fuhr sie dann fort, "die auf den Baellen erscheint, um alles zu sehen, waehrend sie zu schlafen scheint, hat mich ungemein beunruhigt. Gewiss, Martial soll mir den Possen, den er mir gespielt, teuer bezahlen. Ersuchen Sie ihn indes, Oberst, da er Ihr Freund ist, mir keinen Kummer zu machen."
"Ich habe eben mit einem Manne gesprochen, der an nichts weniger denkt, als ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wenn er mit der kleinen Dame spricht. Und jener Mann, meine Dame, haelt sein Wort. Indes kenne ich Martial. Gefahren ermutigen ihn nur. Ueberdies haben wir eine Wette miteinander gemacht…." Diese Worte sprach der Oberst mit leiser Stimme.
"Sollte es wahr sein?…" antwortete Frau von Vaudremont, waehrend sie einen gefallsuechtigen Blick auf ihn richtete. "Wuerden Sie mir die Ehre erweisen, bei dem naechsten Contretanz mit mir anzutreten?…"
"Nicht bei dem ersten, aber bei dem zweiten; jetzt will ich erst sehen, was aus dieser Intrige werden kann, und will wissen, wer die kleine blaue Dame ist. Sie sieht sehr geistreich aus."
Der Oberst erriet, dass Frau von Vaudremont jetzt allein sein wollte, und entfernte sich, zufrieden, den beabsichtigten Angriff auf geschickte Weise begonnen zu haben.
Es gibt bei allen Baellen Damen, die, aehnlich der Frau von Marigny, das Amt alter Seemaenner uebernehmen, die am Ufer des Meeres den Stuermen zuschauen, mit denen sich junge Matrosen herumschlagen. Frau von Marigny, die an den Personen dieses Auftritts Teil zu nehmen schien, vermochte nun in diesem Augenblick sehr leicht den grausamen Kampf zu erraten, der in dem Herzen der Graefin vor sich ging. Vergebens faecherte sich die junge Kokette auf die anmutigste Art Kuehlung zu, vergebens laechelte sie den jungen Leuten entgegen, von denen sie begruesst wurde, und wandte alle weibliche List an, um ihre Aufregung zu verbergen, die alte Witwe, eine der kluegsten Herzoginnen am Hofe Ludwigs XV., schien die Geheimnisse zu durchblicken, die sich hinter den Zuegen der Graefin bargen. Die alte Dame schien fast jene unmerklichen Bewegungen des Augensterns wahrzunehmen, die die Wallungen des Herzens verraten. Die leichtesten Falten, die die weisse und reine Stirn runzelten, das unmerkliche Zittern der Zuege, das Spiel der anklaegerischen Augenbrauen, die fast unsichtbare Bewegung der Lippen, dies alles wusste die alte Herzogin so gut zu lesen, wie die geschriebenen Worte eines Buches. Die Kokette ausser Dienst sass in einem Armstuhl, den sie vollkommen ausfuellte, und plauderte mit einem Diplomaten, der sie aufgesucht hatte, weil sie in unvergleichlicher Weise Anekdoten vom alten Hofe erzaehlen konnte, aber sie beobachtete dabei mit ununterbrochener Aufmerksamkeit die junge Kokette, die ihr wie eine neue Auflage ihres eigenen Ichs vorkam. Sie fand sie ganz nach ihrem Geschmack, als sie sah, dass sie so gut ihren Kummer verberge und die Schmerzen ihres Herzens zu verhehlen wisse.
Frau von Vaudremont fuehlte sich in der Tat ebenso schmerzlich ergriffen, als sie sich heiter stellte. Sie hatte geglaubt, in Martial einen Mann von Talent anzutreffen, der ihr Leben durch die Genuesse des Hofes, nach denen sie sich sehnte, verschoenern sollte. Sie erkannte in diesem Augenblick einen Irrtum, der ebenso grausam fuer ihren Ruf, wie fuer ihre Eigenliebe war. Es ging ihr, wie den uebrigen Frauen jener Epoche, indem die ploetzliche Regung der Leidenschaften die Lebhaftigkeit der Gefuehle nur vermehren konnte. Die Herzen, die viel und schnell leben, dulden nicht weniger, als die, die sich in einer einzigen Leidenschaft verzehren. Mehr als ein Faecher verbarg damals kurze, aber schreckliche Qualen. Die Vorliebe der Graefin fuer Martial war allerdings erst Tags zuvor entstanden, allein auch der unerfahrenste Chirurg weiss, dass die Abtrennung eines lebenden Gliedes weit schmerzhafter ist, als die eines abgestorbenen. Bei Frau von Vaudremonts Neigung zu Martial kamen die Aussichten auf die Zukunft hinzu, waehrend ihre fruehere Leidenschaft ohne Hoffnung war und durch die Gewissensbisse des Grafen von Soulanges vergiftet wurde.
Die alte Herzogin wusste alles zu erraten und beeilte sich nun, den Gesandten zu entlassen, von dem sie belagert wurde, denn in Gegenwart entzweiter Geliebten und Liebhaber erbleicht jedes andere Interesse, selbst bei
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