Große und kleine Welt (German Edition)
Eigenliebe der Frau von Vaudremont vielleicht noch lebhafter ins Spiel gezogen, als ihre Neugierde, den Knaeuel dieser Intrigen entwirrt zu sehen. Der innere Sturm, von dem sie ergriffen wurde, raubte ihr die Selbstbeherrschung. Der Oberst erklaerte sich nun zu seinem Vorteil die Verlegenheit, die sich in den Reden und in der Haltung der Graefin zeigte, und wurde deshalb noch gluehender und draengender.
Neue Geheimnisse, gleich anziehend wie die frueheren, belebten nun diese bewegte Szene. Die Leidenschaften der beiden Paare, deren Abenteuer diese Erzaehlung wiedergibt, sprangen auf alle Teilnehmer des glaenzenden Balles ueber und veranlassten die verschiedensten Faerbungen der Teilnahme.
Die alten abgestumpften Diplomaten, denen es so viel Freude machte, das Spiel der Mienen zu beobachten und die angesponnenen Raenke zu erraten und zu verfolgen, hatten noch nie eine so reiche Ernte der Unterhaltung gefunden, dennoch liess das Schauspiel so vieler, lebhafter Leidenschaften, liessen die Zaenkereien der Liebe, diese suessen Aeusserungen der Rache, diese grausamen Gunstbeweise, diese entflammten Blicke, liess das ganze gluehende Leben, das rund um sie her ergossen war, sie nur umso lebhafter ihre Ohnmacht erraten.
Endlich war es dem Baron gelungen, in der Naehe der Graefin von Soulanges einen Sitz zu finden. Seine Augen schweiften verstohlen ueber einen Hals, der frisch war wie der Tau, wohlduftend wie ein Blumenbeet. Er bewunderte in der Naehe die Schoenheiten, die ihn schon aus der Ferne ueberrascht hatten, er konnte einen kleinen, schoenbekleideten Fuss sehen, und eine geschmeidige anmutige Taille mit den Augen messen. Damals knuepften die Frauen die Guertel ihrer Kleider dicht unter dem Busen, wie man es bei den griechischen Statuen erblickt! Diese Mode war grausam fuer jene Frauen, deren Wuchs irgendeinen Fehler hatte. Martial warf fluechtige Blicke auf den Busen und wurde entzueckt durch die Vollendung der himmlischen Formen der Graefin. Er war trunken vor Liebe und Hoffnung. "Sie haben heute abend noch nicht ein einziges Mal getanzt?" fragte er mit sanfter und schmeichelnder Stimme; "hoffentlich ist dies nicht die Schuld der Herren."—"Es ist nun bald zwei Jahre, dass ich mich nirgends gezeigt habe, und ich bin unbekannt in der Welt …" antwortete Frau von Soulanges; denn sie hatte den Blick nicht begriffen, durch den ihre Tante sie aufforderte, sich gefaellig gegen den Baron zu zeigen. Dieser liess aus Gewohnheit den schoenen Diamant spielen, der den Ringfinger seiner linken Hand schmueckte. Das Feuer, das die geschliffenen Flaechen des Steines ausstrahlten, schien ein ploetzliches Licht in das Herz der jungen Graefin zu werfen. Sie erroetete und blickte den Baron mit einem unbeschreiblichen Ausdruck an.
"Tanzen Sie gern?" fragte der Provencale, um es zu versuchen, die
Unterhaltung wieder anzuknuepfen.
"Sehr gern, mein Herr."
Bei dieser Antwort trafen ihre Blicke einander; denn der junge Mann wurde von dem suessen und zum Herzen sprechenden Tone ueberrascht, der eine unbestimmte Hoffnung bei ihm erweckte, und hatte daher schnell die Augen der Graefin geprueft.
"Wuerden Sie es nicht als eine Verwegenheit von meiner Seite betrachten, wenn ich Sie baete, bei dem naechsten Contretanz mit mir anzutreten?"
Eine kindliche Verlegenheit roetete die bleichen Wangen der Graefin, wie einige Tropfen eines roten Weines sich allmaehlich in einem Glase klaren Wassers verbreiten und dasselbe roeten.
"Aber, mein Herr … ich habe bereits einem Taenzer eine abschlaegige
Antwort gegeben, einem Oberst…."
"Vielleicht dem langen Kavallerie-Oberst dort?"
"Ganz recht."
"Der ist mein Freund, befuerchten Sie nichts. Ich hoffe, Sie werden mir meine Bitte gewaehren."
"Ja, mein Herr…."
Der zitternde Klang ihrer wohltoenenden Stimme deutete auf eine so neue und tiefe Bewegung, dass selbst das abgestumpfte Herz Martials dadurch schwankend gemacht wurde. Er fuehlte sich von der Bloedigkeit eines Schulknaben ergriffen. Er verlor seine Sicherheit, und sein suedlaendisches Blut geriet in Flammen. Er wollte sprechen, allein seine Ausdruecke erschienen ihm im Vergleich zu den geistreichen und feinen Antworten der Frau von Soulanges ohne Anmut. Es war ein Glueck fuer ihn, dass der Contretanz begann, denn als er neben seiner schoenen Taenzerin stand, fuehlte er sich wieder erleichert. Es gibt viele Maenner, fuer die der Tanz eine Art weltmaennischer Gewandtheit ist, und die, indem sie die Anmut ihres Koerpers zu entfalten suchen,
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