Große und kleine Welt (German Edition)
Flucht bedacht und seine Diamanten daher auf ein Papier gelegt; jetzt steckte er sie, ohne dass ich es wusste, in meine Tasche. Nebenbei muss ich bemerken, dass ich das wertvolle Geschenk des Spaniers garnicht kannte und mein Bedienter am folgenden Tage den Schatz raubte, um mit diesem grossen Vermoegen zu entfliehen. Ich sprach mit der Kammerfrau noch ueber die Vorsichtsmassregeln, die sie zu treffen haette, und wollte gehen. Die Kammerfrau blieb bei ihrer Herrin, allerdings ein Umstand, der mich nicht sehr ermutigte; ich beschloss indes auf meiner Hut zu sein. Der Liebhaber packte das tote Kind und die Waesche, mit der die Kammerfrau das Blut ihrer Herrin aufgefangen hatte, in ein Buendel zusammen. Er band es fest zusammen, nahm es unter seinen Mantel, fuhr mit der Hand ueber meine Augen, als wollte er mir sagen, dass ich sie schliessen sollte, und ging dann voraus, mich durch ein Zeichen auffordernd, den Zipfel seines Rockes zu ergreifen; ich gehorchte ihm, warf aber noch einen letzten Blick auf meine so zufaellig erlangte Geliebte. Die Kammerfrau riss ihre Maske ab, als sie den Spanier draussen sah, und zeigte mir das lieblichste Gesicht von der Welt. Als ich mich wieder im Garten befand und die freie Luft einatmete, da, ich gestehe es, war mir, als fiele ein ungeheures Gewicht von meiner Brust. Ich ging in achtungsvoller Entfernung hinter meinem Fuehrer her und beobachtete die geringste seiner Bewegungen mit der groessten Aufmerksamkeit. Als wir an der kleinen Pforte wieder angekommen waren, fasste er meine Hand und drueckte mir das Petschaft eines Ringes, den ich an einem Finger seiner linken Hand gesehen hatte, auf den Mund, ich aber gab ihm zu verstehen, dass ich dieses beredte Zeichen begriffe. Auf der Strasse warteten unsere zwei Pferde; jeder von uns bestieg eins; mein Spanier bemaechtigte sich meines Zuegels, und nahm den seinigen zwischen die Zaehne, denn in seiner Rechten hatte er das blutige Paket. Mit der Schnelligkeit des Blitzes ritten wir davon. Es war mir unmoeglich, auch nur den geringsten Gegenstand zu merken, an dem ich spaeter den Weg wieder haette erkennen koennen, den wir gekommen waren. Mit Tagesanbruch befand ich mich vor meiner Tuer und der Spanier entfloh nach dem Tore von Atocha hin."
"Und Du konntest gar nichts entdecken, woran man spaeter jene Frau haette wiedererkennen koennen?" fragte der Obrist den Chirurgen.
"Nur ein einziges Mal," antwortete dieser.
"Als ich die Unbekannte zur Ader liess, bemerkte ich an ihrem Arm, ein wenig ueber der Mitte desselben, ein kleines Mal, etwa wie eine Linse gross und von braunen Haaren umgeben."
In diesem Augenblicke erbleichte der Chirurg, der die gelobte Verschwiegenheit verletzt hatte; aller Augen hefteten sich auf die seinigen und folgten dann der Richtung seines Blickes. Die Franzosen sahen einen Spanier, der in einen Mantel gehuellt war, und dessen Augen durch ein Gebuesch von Orangen blitzten. Kaum hatten indes die Offiziere ihre Blicke auf diesen Mann gerichtet, als er mit der Leichtigkeit einer Sylphe entfloh. Ein Hauptmann verfolgte ihn schnell. "Teufel, meine Freunde!" rief der Chirurg aus, "dieses Basiliskenauge hat mich zu Eis erstarrt. Ist es mir doch, als hoerte ich Totenglocken laeuten! Empfangt mein Lebewohl, Ihr werdet mich hier begraben!"
"Bist Du dumm," meinte der Obrist Hulot. "Falcon verfolgt den Spanier und wird uns schon Rechenschaft zu geben wissen."
"Da kommt er!" riefen die Offiziere aus, als sie den Hauptmann atemlos zurueckkehren sahen.
"Zum Teufel!" versetzte Falcon, "der ist, glaube ich, ueber die Mauer gesprungen. Ein Hexenmeister kann er nicht sein, also muss er hier ins Haus gehoeren! Der kennt hier alle Wege und Schliche, deswegen ist er mir so leicht entgangen."
"Ich bin verloren!" versetzte der Chirurg mit trueber Stimme.
"Beruhige Dich," antwortete ich, "wir werden der Reihe nach bis zu
Deiner Abreise bei Dir wachen. Heute Abend begleiten wir Dich!"
In der Tat fuehrten drei junge Offiziere, die ihr Geld beim Spiel verloren hatten, den Chirurg in seine Wohnung zurueck, und einer von ihnen erbot sich, bei ihm zu bleiben. Am zweiten Tage darauf hatte der Chirurg seine Versetzung zu einem in Frankreich stehenden Heere erlangt und traf alle Vorbereitungen, um in Gesellschaft einer Dame abzureisen, die von Murat eine starke Bedeckung erhielt. Zuletzt speiste er noch einmal in Gesellschaft seiner Freunde, als ihn sein Bedienter benachrichtigte, dass eine junge Dame mit ihm sprechen wolle. Der Chirurg ging
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