Große und kleine Welt (German Edition)
Graefin von Soulanges blieb furchtsam einen Augenblick an der Tuer eines jeden Salons stehen und trat nicht eher ein, bis sie einen durchdringenden Blick nach allen Maennern geworfen hatte. Diese Besorgnis erfuellte den Requetenmeister mit noch groesserer Freude, denn er sah, dass sie sich nicht eher beruhigte, bis er gesagt hatte: "Ermutigen Sie sich, er ist nicht da."
So gelangten sie bis in eine Gemaeldegalerie von ungemeinem Umfange, die in einem Fluegel des Hotels lag, und wo man sich zum Voraus des grossartigsten Anblicks eines Imbisses erfreute, der fuer dreihundert Personen aufgetragen war. Der Requetenmeister erriet, dass das Mahl bald beginnen werde, und zog daher die Graefin mit sich nach einem Boudoir, das er ausfindig gemacht hatte. Es war ein laenglich-rundes Zimmer, das nach dem Garten ging. Die seltensten Blumen und Straeucher bildeten gewissermassen ein Dickicht, durch dessen Blaetter hindurch das Auge die glaenzenden Tapeten erblickte. Das Geraeusch des Festes erstarb hier wie das Geraeusch der Welt in der Naehe eines heiligen Asyls. Die Graefin zitterte beim Eintreten und weigerte sich hartnaeckig, dem jungen Manne zu folgen; nachdem sie aber einen Blick in einen Spiegel geworfen und in demselben ohne Zweifel Verteidiger erblickt hatte, liess sie sich anmutig auf eine wolluestige Ottomane nieder.
"Was fuer ein koestliches Gemach," sagte sie und bewunderte eine himmelblaue Tapete, die durch Perlen gehoben wurde.
"Hier atmet alles Liebe und Wollust …" sagte Martial. Dann betrachtete er bei dem geheimnisvollen Halbdunkel, das in dieser suessen Einsamkeit herrschte, die Graefin, und bemerkte in ihren stark erregten Zuegen einen Ausdruck der Verwirrung, der Scham und der Sehnsucht, durch den er bezaubert wurde. Sie laechelte, und dieses Laecheln schien dem Kampfe aller Gefuehle, die in ihrem Herzen miteinander rangen, ein Ende zu machen; der Baron war entzueckt. Auf die verfuehrerischste Weise der Welt ergriff sie die linke Hand ihres Anbeters und zog den Ring von seinem Finger, auf den sie bereits so feurige Blicke der Sehnsucht geworfen hatte.
"Das ist ein recht schoener Diamant!…" sagte sie sanft und mit dem unschuldigen Ausdruck eines jungen Maedchens, das die ganze Macht seiner ersten Lockung fuehlen laesst. Martial war durch die unwillkuerliche, aber berauschende Beruehrung, die ihm von den Fingern der Graefin beim Abziehen des Ringes zuteil geworden war, erregt und betrachtete ihn mit Blicken, die ebensosehr funkelten wie der Ring.
"Behalten Sie ihn als Erinnerung an diese himmlische Stunde und aus
Liebe fuer…"
Er vermochte seine Worte nicht auszusprechen, denn der Ausdruck der Begeisterung, der in ihren Zuegen lag, erregte ihn zu lebhaft. Er kuesste ihre Hand.
"Sie schenken ihn mir?…" fragte sie mit erstaunten Blicken.
"Ich moechte Ihnen die ganze Welt darbringen koennen…."
"Scherzen Sie nicht vielleicht?…" fragte sie dann abermals, und man erkannte in dem Ausdruck dieser Worte ihre lebhafte Freude.
"Nehmen Sie meinen Diamanten nur an!"
"Und Sie werden ihn nie von mir wieder verlangen?" fragte die Graefin.
"Nie!"
Sie steckte den Ring an ihren Finger. Martial glaubte, dass nun nichts mehr an seinem Glueck fehle und machte eine kuehne Bewegung; allein die Graefin erhob sich ploetzlich und sagte mit einer hellen Stimme, die durchaus keine Erregung verriet: "Mein Herr, ich nehme diesen Diamanten mit umsoweniger Bedenken an, da er mir gehoert."
Der Requetenmeister wusste nicht, was er sagen sollte, und blieb unbeweglich, mit weitgeoeffnetem Munde sitzen.
"Herr von Soulanges hat ihn vor sechs Monaten aus meinem Schmuckkasten genommen und dann vorgegeben, dass er ihn verloren habe."
"Sie irren sich, meine Dame," sagte Martial in gereiztem Tone; "denn ich habe den Ring von Frau von Vaudremont."
"Ganz recht!" erwiderte sie laechelnd, "mein Mann hat den Ring entfuehrt, hat ihn ihr gegeben, und sie hat ihn wieder verschenkt. Gewiss, mein Herr, ich wuerde nie gewagt haben, ihn um denselben Preis wiederzuerwerben, um den ihn die Graefin erworben hat, wenn er nicht mir gehoerte…. Aber, sehen Sie hier," fuhr sie dann fort und liess eine kleine Feder aufspringen, die unter dem Steine verborgen war, "hier befinden sich noch die Haare des Herrn von Soulanges."
Sie brach in ein lautes und spoettisches Gelaechter aus und eilte dann mit einer solchen Schnelligkeit in den Garten, dass jeder Versuch, sie wieder einzuholen, ueberfluessig erscheinen musste. Ueberdies war Martial so
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