Grosser Auftritt fuer Sally
Kopfbewegung beorderte er sie in den Wagen zurück. »Er ist wieder da«, sagte er mit unterdrückter Stimme und gab Daniel das Fernglas. »Ulli hat schon die Polizei angerufen. Die brauchen allerdings eine halbe Stunde bis hier draußen.«
Daniel pfiff leise durch die Zähne, als er das Glas ansetzte. »Der Kerl im Surfanzug. Tatsächlich!« Er gab das Glas an Conny weiter. Vor lauter Aufregung drehte sie es zuerst falsch herum, aber endlich sah auch sie den schlanken Mann. Über seinem schwarzen Neoprenanzug trug er eine breite Umhängetasche. Nach rechts und links sichernd, schlich er auf den Teich zu, verschwand hinter abgestorbenen Birken, um dann woanders erneut aufzutauchen.
Jens Witt nahm Conny das Fernglas ab. »Ulli und ich müssen ihn festhalten«, sagte er aufgeregt, während er den Verdächtigen weiter im Blick behielt, »sonst ist er mit den Eiern weg, bevor die Polizei kommt. Hier ist mein Handy, falls noch mehr passiert.« Er drückte Daniel sein Mobiltelefon in die Hand und schlüpfte mit Ulli Clasen aus der Tür.
»Sei vorsichtig, Vati«, flüsterte Conny ihm nach. Ulli Clasen nickte beruhigend.
»Lass mich auch mal gucken«, drängte Conny ungeduldig. »Was siehst du? Sag doch.« Sie hüpfte neben Daniel von einem Bein auf das andere.
»Der Typ schleicht an der Böschung auf und ab«, berichtete Daniel, »der sucht wohl einen guten Einstieg ins Wasser. Dein Vater und Onkel Jens sind nicht zu sehen. Oder ... doch?«
Jetzt hielt Conny es nicht mehr aus. Energisch entwand sie Daniel das Glas, der es protestierend festhalten wollte. Dabei passierte es: Das schwere Gerät rutschte Conny aus der Hand und fiel polternd zu Boden. In der Waldesstille kam es ihr vor wie das nächtliche Dröhnen einer Kirchturmglocke.
Himmel, jetzt ist der Neoprenmann gewarnt, schoss es Conny durch den Kopf.
Daniel bückte sich blitzschnell nach dem Fernglas und starrte damit erneut in die Morgendämmerung. »Er flüchtet«, berichtete er knapp. In seiner Stimme lag maßlose Enttäuschung.
Conny kämpfte mit den Tränen. »Und ich bin schuld«, sagte sie leise. Warum war sie nur so ungeduldig gewesen!
»Dein Vater ...« Daniel hatte das Fernglas immer noch vor den Augen. »Er ist an ihm dran.«
Conny war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. »Was heißt das - er ist dran . . .? Bitte sag, dass Vati ihn gekriegt hat!«
Wieder folgte quälendes Schweigen. Dann endlich Daniels Stimme, diesmal laut und triumphierend: »Er hat ihn. Spitzenmäßig, dein Vater!«
Endlich durfte auch Conny durchs Glas blicken. Sie sah, wie Jens Witt dem Räuber beide Arme nach hinten bog, während ihr Vater ihm eine Hand vor den Mund presste. »Die denken auch an alles«, sagte sie anerkennend. »Sogar daran, dass alles lautlos über die Bühne gehen muss, wegen der Kraniche.«
Zehn Minuten später saß der verhinderte Nesträuber zwischen ihnen im Bauwagen. Er war gerade neunzehn Jahre alt. Ohne Umschweife gab er zu, dass er Geld für sein neues Auto brauchte. Er sollte die Kranicheier für einen reichen Geschäftsmann stehlen, der ganz verrückt nach den »göttlichen« Vögeln war und schon fünfundzwanzig Kraniche im Garten hielt. Die Superbezahlung hatte den jungen Mann schwach werden lassen.
»Dann sehen wir uns wohl vor Gericht wieder«, verabschiedete sich Jens Witt von ihm, als um sechs Uhr der grün weiße Polizei wagen vorfuhr und den Mann im Surfanzug mitnahm.
»Ist die Bewachung jetzt vorbei?«, wollte Conny wissen. Jens Witt lachte. »Jetzt geht es erst richtig los. In ein paar Tagen werden die Jungen schlüpfen. Und die beschützen wir, bis sie flügge sind, fast drei Monate. Du kannst also noch oft helfen.« Er schmunzelte. »Übrigens: Daniel kommt noch an drei Wochenenden wieder.«
Conny ärgerte sich, weil sie schon wieder rot wurde. »Ich auch«, versprach sie, »aber erst mal muss der Film fertig werden.« Sie schaute auf die Uhr. »Heute um acht geht es weiter. Aber vorher will ich unbedingt noch zu Rocky.«
Daniel stöhnte auf. »Traber müsste man sein«, sagte er und verdrehte die Augen in gespieltem Schmerz. »Die haben bei dir wohl mehr Chancen als jeder Junge, was, Mücke?«
Conny hatte ihren Schlafsack eingerollt und stand bereits in der Tür. Ihr Vater wartete schon im Auto. »Vielleicht mache ich mal eine Ausnahme?«, sagte sie übermütig. Natürlich freute sie sich rasend über Daniels Anspielung. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um über Ausnahmen zu reden. Nicht vor einem Erziehungsberechtigten.
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