Großer-Tiger und Christian
jetzt gehe ich nach Hause. Der Himmel
weiß, ob ich meine Heimat wiedersehe, denn mein Kamel hat die Kraft verlassen, und bis zu den Tschuun-Sunit ist ein weiter
Weg.«
»Wie lange bist du auf Reisen, Dämbit?«
»Das dritte Jahr neigt sich dem Ende. Zu Beginn des vierten hoffte ich daheim zu sein.«
»Ich sehe, deine Mühe war nicht vergebens«, sagte Dampignak, und er verneigte sich vor dem silbernen Kästchen, das Dämbit
auf der Brust trug.
»Ich erhielt den Segen des Dalai-Lama«, sagte Dämbit einfach. »Du bist ein glücklicher Mensch«, rief Dampignak, »und ich sage
dir meine Freude, dich bei uns zu sehen.«
Einen Augenblick war es still, aber dann ließ es Mondschein keine Ruhe mehr. Er fragte: »Wohin willst du jetzt, Freund Dämbit?«
»Ich möchte die Straße der Nachdenklichkeit erreichen, aber ich habe den Weg verloren. Wie viele Tage muss ich nach Norden
reiten?«
»Von hier ist es nicht gut, geradewegs nach Norden zu reiten. Du fändest kein Wasser. Reite bis zur Karawanenstraße, die von
Hami kommt. In einer Stunde bist du dort. Folge ihr nach Osten,und in zwei Tagen kommst du zur Burg des Uralten-Herrn. Dort magst du nach der Straße der Nachdenklichkeit fragen; die Kerle
zeigen dir den Weg. Man sagt, sie seien freundlich zu Pilgern und zu armen Reisenden.«
»Ich fürchte mich trotzdem«, sagte Dämbit, »man hat mich eindringlich gewarnt.«
»Recht so«, sagte Mondschein, »wir haben unsere Grenzsoldaten angewiesen, jedermann zu warnen. Ich merke, sie tun ihre Pflicht.
Einzelne Reisende allerdings … was meint Ihr, Hauptmann?«
Dampignak schwieg. Er blickte an Mondschein vorbei, und jeder merkte, dass er nicht antworten wollte.
»Die Grenzsoldaten sind es nicht«, wandte Dämbit ein, »sie haben mich nicht gewarnt. Es war wer anderer. Die Soldaten sagten
sogar: ›Sei unbesorgt, dir schenken die Rotbärte was, wenn sie dich sehen.‹ Und sie trugen mir obendrein Grüße und Glückwünsche
auf für einen, der tot war und jetzt wieder lebt.« »Das nenne ich Pflichtvergessenheit«, schrie Mondschein, »was meint Ihr,
Hauptmann?«
Christian und Großer-Tiger senkten die Köpfe. Sie merkten, weshalb Mondschein so laut schrie, und sie hatten Mühe, das Lachen
zu unterdrücken, das herauswollte und nicht durfte. Großer-Tiger presste die Finger ineinander, Christian biss sich wieder
einmal auf die Zunge, aber der Uralte-Herr sprach gelassen: »Die Menschen sind so geartet, dass sich ihr Herz eher den schlimmsten
Banditen zuneigt als der Obrigkeit. Wie heißt der, dem du Glückwünsche für erfolgte Wiederbelebung bringen sollst?«
»Er heißt Mondschein«, antwortete Dämbit, »›und das Schwert‹, sagten die Soldaten, ›fuhr ihm mitten durch die Gehirntasche.
Da starb er und war tot. In der Nacht aber kam Kalatschakra und machte ihn wieder gesund.‹ So sagten die Soldaten, und Mondschein
muss ein großer Krieger sein und ein guter Mensch, denn in unserer Zeit sind solche Wunder selten geworden.«
»Sieh mich an«, sagte Mondschein, »auch mir klopfte das Schwert die Gehirntasche auf, aber davon macht niemand ein Aufhebens.«
Dämbit fuhr erschrocken zurück, als Mondschein den Hut aus der Stirn rückte. Die feuerrote Narbe lief wie ein Band von einer
Schläfe zur andern, und Mondschein sagte lachend: »Eine Zierde ist es nicht, aber deshalb brauchst du nicht erschrecken.«
»Es ist nicht deswegen«, stotterte Dämbit, »es ist wegen der Ähnlichkeit. Einer, der Mondschein gesehen hat, beschrieb ihn
mir.«
»Ich will nicht hoffen«, sagte Mondschein, »dass ich ihm ähnlich sehe.«
»Das ist es ja«, rief Dämbit, »wovon das Erschrecken kommt. Vorgestern traf ich zwei Männer mit einem Wagen, der von selber
geht, und einer von ihnen erzählte haarklein, wie Mondschein aussieht. Er sagte: ›Dieser und der Uralte-Herr sind die ärgsten
Verbrecher der Zehntausend Staaten. Ich werde aber dafür sorgen, dass sie das Schwert des Henkers frisst.‹«
»Desto besser«, sagte Mondschein erfreut, »der Herr wird uns eine große Sorge abnehmen. Wie heißt er denn?«
»Sein Begleiter nannte ihn ›Herr Grünmantel‹.«
»Sieh da«, rief Mondschein, »du musst nämlich wissen, Dämbit, dass Herr Grünmantel ein alter Bekannter von mir ist, ein Herr,
dessen Ruhm die Täler und Schluchten füllt. Welche Freude, wenn in der Wildnis der Schritt eines lange Gesuchten endlich ans
Ohr dringt. Wo trafst du ihn, den lieben Alten?«
»Ich kam dazu,
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