Großer-Tiger und Christian
der Mann.
»Das ist ein gutes Essen«, sagte Christian, »ich habe Hunger.«
Sie gingen weiter und kamen an den Pferden vorüber, die an einer Leine standen mit umgehängten Futtersäcken. Über die Hügel
kam der zweite der Männer. Er ritt auf einem Kamel und trieb drei andere vor sich her ins Lager. Plötzlich hielt er an, und
gleichzeitig hörte man einen fernen Zuruf, der ihm galt, damit er Lust bekäme, zu warten. Christian und Großer-Tiger sahen
niemand, denn das Tal war klein. Ringsum gab es Hügel und Berge. An der Südseite wuchsen vereinzelte Kräuterbüschel und ein
wenig Gelbholz, aber weiter oben war alles kahl. Da gab es nur die schwarzen Felszähne.
Lange dauerte es nicht, bis sich der Zuruf wiederholte; und ein wenig näher war er auch schon. Dennoch währte es eine gute
Zeit, bis der Rufer in Sicht kam.
Er ritt auf einem Kamel, aber das Kamel ging schleppend, und manchmal knickte es ein und stolperte. Es war vollkommen erschöpft.
Als der Reiter die Zelte erblickte, sprang er gleich aus dem Sattel und ging zu Fuß neben dem Kamelmann her, der ihm zu Gefallen
auch abstieg. Miteinander kamen sie näher.
»Ein Fremder«, sagte Großer-Tiger.
»Wir müssen es Mondschein sagen«, meinte Christian.
Also gingen sie ins Zelt zurück und meldeten, dass ein Fremder komme auf einem Kamel, das kaum mehr gehen könne.
»Führt ihn zu mir«, befahl Dampignak, »aber sagt ihm nicht, wer ich bin.«
»Vielleicht weiß er es schon.«
»Keine Bedenken deswegen«, erwiderte Dampignak, »meine Männer sind schweigsam.«
Da gingen Großer-Tiger und Christian dem fremden Mann entgegen.Es war ein Mongole, er war groß, braungebrannt und bartlos, und er hatte viele Runzeln im Gesicht, die hin und her liefen
wie schwarze Federstriche. Er war hohlwangig und man sah, dass er nicht viel zu essen kriegte. Sein Kamel war noch magerer.
Die Fetthöcker waren nach rechts und links umgefallen und hingen wie schlaffe Säcke über die hervorstehenden Rippen.
Auf der Brust trug der Mann an einer gedrehten dicken Seidenschnur ein silbernes Kästchen, das fein ziseliert und in der Mitte
ein wenig offen war. Man sah aber nicht, was darin steckte.
Christian und Großer-Tiger grüßten, und als der Mann sein Schnupffläschchen aus dem Gürtel zog, freuten sie sich, dass sie
auch eins hatten. Sie waren keine Anfänger mehr. Sie tauschten die Fläschchen, sie führten sie zur Stirn, sie sprachen die
vorgeschriebenen Worte schön langsam und fehlerlos, und wenn Großer-Tiger das »R« ausließ und dafür »L« sagte, so war das
weiter nicht schlimm.
Der fremde Mongole wusste nicht recht, wen er vor sich hatte. Großer-Tiger, das merkte er bald, war ein Chinese, aber bei
Christian war er im Zweifel. Ein Orros, dachte er, auf jeden Fall ist er ein Ausländer, oder sollte er am Ende ein Torgot-Mongole
sein? Bei denen gab es welche, die blonde Haare hatten. Er wollte fragen, aber Christian sagte: »Unser Nojen wünscht Euch
zu sehen.«
»Habt ihr einen Nojen bei euch?«, fragte der Fremde. Er wandte sich leise an den Kamelmann. »Ist er ein großer oder kleiner
Nojen?« Allein der Kamelmann zuckte die Schultern, und »Das wirst du schon merken«, sagte er, »geh nur.« Er nahm das Kamel
des Fremden und führte es zum Wasser, wo es sich zum Trinken niederlegte. So müde war es.
Christian und Großer-Tiger gingen voraus. Sie öffneten das Zelt, und sie baten den Fremden, einzutreten. Als er Dampignak
erblickte, beugte er das Knie und grüßte höflich, und sie wechselten die Schnupfflaschen. Nachher sagte er: »Ich höre, dass
Ihr ein Nojen seid.«
»Du siehst«, log Mondschein drauflos, »einen Offizier der Leibwachedes alten Gebieters in Urumtschi vor dir. Er kontrolliert die Grenzposten.«
»Ich dachte, ich wäre schon an Möng-Schui vorüber. Entschuldigt meine Unkenntnis.«
»Möng-Schui liegt hinter dir. Wir sind, verstehst du, ein wenig über die Landesgrenzen hinausgeritten, um die Leute Dampignaks
zurechtzuweisen. Ab und zu muss man diesen Rotbärten sagen, wer sie sind und wohin sie gehören.«
Der Fremde zögerte mit einer Antwort. Man sah ihm an, dass er am liebsten geschwiegen hätte. Schließlich sagte er bedächtig:
»Du hast recht; es gibt Leute, die sich über die Rotbärte beklagen.«
»Nicht möglich!«, rief Mondschein.
»Wo kommst du her?«, fragte Dampignak dazwischen.
»Ich heiße Dämbit«, sagte der Fremde, »und ich bin ein Pilger. Ich war in Lhasa, und
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