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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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es etwas Rundes war. Vielleicht ein Geldstück,
     dachte Christian und hob es auf. Es war aber viel dicker als ein Geldstück. Eher schien es eine silberne Dose zu sein mit
     einem schön gearbeiteten Deckel.
    »Hier ist das Ding«, sagte Christian, »und es ist aus Silber. Schlangenfrühling hat es verloren.«
    Zu dritt betrachteten sie die kleine Dose. Auf dem getriebenen Deckel war ein Baum mit großen Blättern und Nestern. Unten
     am Stamm standen Hirsch und Kranich beisammen und schauten zu, wie der Vogel Phönix die mächtigen Flügel regte.
    Christian wollte den Deckel abheben, aber es ging nicht.
    »Es ist keine Dose zum Aufmachen«, sagte Mondschein wehmütig.
    Da merkten auch Christian und Großer-Tiger, dass es etwas anderes sein musste. Die dicke Seitenwand war in sechs Felder geteilt,
     und dazwischen gab es wieder sechs Felder, die sich hin und her bewegten, aber nur ein bisschen. Auf den zwölf Feldern waren
     die Monatstiere zu sehen. Sie waren abgegriffen und blank und nur schwer zu erkennen.
    »Es ist ein Spielzeug«, sagte Mondschein, »mit dem die Kinder bei uns das Jahr und die Monde lernen, und es gehörte dem Uralten-Herrn.
     Als er klein war, war ich auch klein. Wir spielten damit, und wir nannten die Namen der Monde. Dampignak hatte es stets bei
     sich. Er schenkte es seinem Sohn, als er vier Jahre alt war, und dann kam Schong-Ma, der Mörder.«
    Christian hielt das silberne Spielzeug noch immer, und Großer-Tiger stand neben ihm. Er hätte es auch gern gehabt und von
     nah betrachtet, aber jetzt ließ er die Hand sinken. Beide blickten Mondschein an, und ihre Blicke fragten um Rat, was zu tun
     sei. Allein Mondschein wusste keinen, außer einen schlechten. »Gebt es Dampignak«, sagte er und wandte sich ab.
    »Wir wagen es nicht«, sagte Christian.
    »Wir legen es in das Kästchen«, schlug Großer-Tiger vor, »wenn niemand um den Weg ist.«
    »Ihr müsst es bald tun«, sagte Mondschein, »der Fürst und ich reiten nach dem Frühstück.«
    »Und wir?«, fragte Großer-Tiger beklommen.
    »Ihr bleibt bei dem Wagen, bis Glück kommt. In drei Tagen wird er bei euch sein.«
    »Wird uns der befehlende Herr Mondschein die Freude des Wiedersehens schenken?«, fragte Großer-Tiger.
    »Wir bitten darum«, sagte Christian.
    »Macht es mir nicht zu schwer, meine Kinder«, bat Mondschein. Er bückte sich nach dem Brennholz, und als er es hatte, ging
     er dem Feuer am Bachrand entgegen. Seine Schultern hingen traurig wie die Arme, die das Astwerk schleiften.
    Am Feuer waren alle versammelt und alle redeten durcheinander. Der Kessel dampfte, der Tee warf Blasen, und Großer-Tiger holte
     seinen Reisesack und leerte den Rest auf eine Satteldecke. Da war nichts mehr darin. Auch Christian nahm den Ledersack aus
     den Sattelringen, öffnete ihn, und ohne dass einer was merkte, schob er den Deckel des Kästchens beiseite. Großer-Tiger half
     ihm dabei, und nachdem er das silberne Spielzeug in der Hand gehabt hatte, legte er es zwischen die goldenen Armreifen und
     den Haarschmuck. Dann verschnürten sie den Sack mit festen Knoten und zur Sicherheit mit einem Lederriemen.
    In den Vorräten Kao-Schengs gab es Tsamba, Salzgemüse und Bohnennudeln. Mehl gab es einen ganzen Sack voll, und als das Frühstück
     beendet war, sprach Kao-Scheng bereits vom Abendessen. Dann aber fiel ihm plötzlich was ein.
    »Hu!«, rief Kao-Scheng, »eile dich, spute dich, sattle das Pferd.«
    »Was soll er?«, fragte Mondschein.
    »Hu soll reiten«, erklärte Kao-Scheng, »es pressiert.«
    »In der Eile sind Fehler«, machte Mondschein aufmerksam, »erst müssen die Pferde was fressen.«
    »Aber der Blitzbrief«, rief Kao-Scheng, »man muss einen Blitzbrief senden.«
    »Was willst du denn in dem Blitzbrief schreiben?«, erkundigte sich Mondschein.
    Kao-Scheng machte eine weit ausholende Gebärde. »Alles«, sagte er großartig.
    »Alles geht nicht«, sagte Mondschein, »ein Blitzbrief soll zehn Worte haben. Hast du ein Papier?«
    »Wozu?«, fragte Kao-Scheng verblüfft.
    »Zum Schreiben«, sagte Mondschein.
    »Ich schreibe nicht gern«, erwiderte Kao-Scheng, »Schreiben ist umständlich. Ich sage Hu, was es gibt, und Hu lernt es auswendig.
     Das Übrige machen die Beamten in Hsing-Hsing-Hsia, dazu sind sie da.«
    Christian stand auf und holte die Tasche, in der Papier war, und was man brauchte, um einen Blitzbrief zu schreiben. »Herr
     Hauptmann«, sagte er, »Worte können verlorengehen, und dann fehlt auf einmal die Hälfte.

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