Großer-Tiger und Christian
saß, setzte sich der General neben ihn, und da gab es keine Widerrede mehr. Christian und Großer-Tigerschauten nach ihren weißgeränderten Stiefelspitzen, aber als der Marschall zu sprechen begann, blickten sie auf. Er sprach
mit einer dunklen Stimme und wie von weither: »Ich empfinde großen Schmerz, dass ich euch Freude sagen wollte, und ich vermag
es nicht. Grämt euch nicht zu sehr, meine Kinder, denn der Ablauf des Schicksals ist ohne Gleichmaß. Wer das erkennt, jubelt
nicht darüber, dass er lebt, und er verzweifelt nicht am Tode. Euer Bruder Dampignak ist aus der Welt gegangen.«
Christian und Großer-Tiger schwiegen. Sie senkten die Köpfe, und sie schauten wieder auf die Stiefelspitzen. Sie wehrten sich
gegen das nahe Weinen und gegen die ängstliche Stille in dem schönen weißen Zimmer. Plötzlich stieß Wui-Hung-Wen einen wilden
Seufzer aus der breiten Brust. Alle Blicke wandten sich ihm zu. Er saß regungslos auf seinem Platz, er starrte in den Garten
und sah böse aus. Aber über den struppigen Schnauzbart rollten Tränen und sie tropften auf die graue Hose mit den roten Streifen.
»Der General hat ihn gekannt und geliebt«, entschuldigte Yang. »Dampignak«, fuhr er fort, um die Aufmerksamkeit von Wui-Hung-Wen
abzulenken, »muss ein Mann gewesen sein, für den es weder Recht noch Unrecht gab. Schande war ihm so gleichgültig wie die
Ehre, die die Welt zu vergeben hat. Als ich mein Amt in Sinkiang antrat, hörte ich sagen, er sei schlechthin ein Mörder. Ich
hatte nichts mit ihm zu tun, denn seine Horden durchzogen die Mongolei. Vor wenigen Jahren baute Dampignak eine Burg in die
Wüste, und weil sie nicht weit von der Grenze meines Landes lag, musste ich mich mit ihm beschäftigen. Ich tat es behutsam,
und er verfuhr auf die gleiche Weise mit mir. Eines Tages bat er um einen Unterhändler, und ich sandte Wui-Hung-Wen. In weniger
als einer halben Stunde waren sich die Herren einig, und Wui-Hung-Wen kehrte zu mir zurück, nicht anders, als habe er den
Weisesten der Weisen und den Gerechtesten aller Gerechten kennengelernt.«
»Er war ein Mann von Wort«, knurrte der General, »mehr braucht nicht gesagt werden.«
»Niemand bestreitet es«, gab Yang lächelnd zu. »Dampignakvernichtete alle Räuberbanden, die es bis zum Edsin-Gol und dahinter gab, und er erhob dafür einen angemessenen Wegzoll. So
hatten wir es ausgemacht, so geschah es, und wir lebten in gegenseitig gutem Einvernehmen. Im vergangenen Winter kam zwar
einer und beklagte sich über Dampignak, aber Wui-Hung-Wen warf ihn zur Tür hinaus.«
»Ich riet, ihn sogleich zu köpfen«, brachte der General in Erinnerung und schneuzte sich.
»Grünmantel ist tot«, sagte Yang, »und da ich bisher nicht mehr davon weiß, bitte ich euch, mir zu berichten.«
»Es ist aber eine lange Geschichte«, warnte Christian.
»Heraus damit!«, knurrte Wui-Hung-Wen, »und dass ihr mir nichts vergesst!«
»Wenn Seine Exzellenz erlaubt«, begann Christian, »werden wir alles erzählen.«
Yang lächelte, und Großer-Tiger und Christian begannen, und weil sie ganz vorn anfingen, war Glück ein wenig ängstlich, als
von ihm und Grünmantel die Rede war. Allein er merkte bald, dass er keine Angst haben brauchte, denn Christian rühmte die
Unbestechlichkeit Glücks, und Großer-Tiger sagte, dass Glück ein Fahrer sei, wie man nicht leicht einen zweiten fände.
Es dauerte eine gute Stunde, da waren sie mit der Geschichte zu Ende, und Großer-Tiger sagte gerade: »Das ist alles, und mehr
wissen wir nicht«, als es einen Lärm im Korridor gab.
Man hörte, wie einer rief: »Lass mich los, du Enterich! Ich muss Seiner Exzellenz rapportieren, wie ich die Verbrecher vernichtete.
Seine Herrlichkeit wartet ungeduldig auf mich. Weg, du Grünschnabel! Fort mit dir, du Bestie!«
Wui-Hung-Wen stand auf und schob den Schnauzbart tatenfroh beiseite. »Lass ihn herein«, sagte Yang, »und sei freundlich zu
ihm, er hat es verdient.«
Da ging der General hinaus, und man hörte, wie er rief: »Was für ein Lärm? Was für ein Getöse? Wer stört die Mittagsruhe des
alten Gebieters? Man soll ihm augenblicklich den Kopf abschlagen. – Ah!«, rief Wui-Hung-Wen, »du bist es? Schäme dich, Kao-Scheng.
Ich will dich noch einmal begnadigen, wenn du ganz still bist und überhaupt kein Wort sprichst.«
»Aber mein Rapport?«
»Den kannst du bei mir loswerden. Jetzt schweig, wenn dir dein Leben lieb ist.« Er schob Kao-Scheng durch die
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