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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Tür, und der
     neuernannte Oberst warf sich aufs Knie, obgleich er nicht sicher war, ob es wirklich der Marschall sei, der vor ihm saß.
    »Steht auf, Oberst«, sagte Yang, »Euer Platz ist hier.«
    Dabei zog er einen freien Sessel an seine linke Seite und lud Kao-Scheng zum Sitzen ein. Kao-Scheng warf einen triumphierenden
     Blick auf Wui-Hung-Wen, und kaum dass er flüchtig »Ich bin unwürdig« gemurmelt hatte, saß er schon strahlend auf dem Ehrenplatz.
    »Eure Herrlichkeit   …«, begann er, sich tief verneigend.
    »Willst du wohl?«, rief Wui-Hung-Wen dazwischen.
    »Lass ihn reden, General«, sagte Yang, »der Herr Oberst möchte mir erklären, wie man Verbrecher fängt.«
    »Man kann es auf verschiedene Arten«, fing Kao-Scheng an, »aber in einem Melonengarten geht es nicht   …«
    »Freund«, unterbrach ihn Wui-Hung-Wen, »du wirst weitschweifig. Ich werde dich lieber fragen, und du antwortest.«
    »Dann ist es ein Verfahren«, sagte Kao-Scheng gekränkt, »ich kenne das.«
    »Es verkürzt die Sache ungemein«, setzte ihm Wui-Hung-Wen auseinander, »ich habe nämlich bloß eine Frage: ›Möchtest du mit
     uns Tee trinken?‹«
    »Zu viel der Ehre«, murmelte Kao-Scheng verdattert; aber Wui-Hung-Wen klatschte sofort in die Hände, und da kam einer, der
     ganz in himmelblauer Seide steckte, und brachte Tee und Tassen und eine Menge Bäckerei, Salzmandeln und rote Himbeerbonbons.
    »Es ist kein Höflichkeitstee«, erklärte Wui-Hung-Wen, »ihr habt eine lange Reise hinter euch, also sollt ihr essen.«
    Anfänglich griffen Christian und Großer-Tiger zaghaft zu, aber Wui-Wung-Wen ließ das nicht gelten. Er füllte die Teller, er
     goss Tee ein, und zwischenhinein verhinderte er Kao-Scheng am Reden. Nach einer Weile erhob sich der Marschall. »Bleibt hier«,
     sagte er zu Kao-Scheng und Glück, »der General hat mit euch zu reden. Ihr zwei begleitet mich durch den Garten.«
    Er schritt leise und aufrecht durch die Türe, und Christian und Großer-Tiger folgten ihm. Als sie ins Freie traten, hörten
     sie noch, wie Wui-Hung-Wen sagte: »Los! Sprich dich aus! Wie viele Silberbarren sind es insgesamt, alter Hung-Hu-Tse?« Sie
     vernahmen nicht mehr, was Kao-Scheng antwortete, und da es ein Staatsgeheimnis war, wollten sie es auch nicht wissen.
    »Hund, bleib da!«, befahl Christian.
    »Gehört er euch?«, fragte der Marschall.
    »Wir haben ihn von Siebenstern geschenkt gekriegt«, teilte Christian mit.
    »Er ist anders wie andere Hunde«, bemerkte Großer-Tiger.
    »Dann soll er uns begleiten«, entschied der Marschall.
    Er schritt auf dem gepflegten Kiesweg voran, aber an der Kamelhöckerbrücke wartete er. Rechts und links führte er Christian
     und Großer-Tiger auf die Brücke, und während sie in das grünschillernde Wasser blickten, in dem Goldfische und Drachenaugen
     schwammen, langte Yang in die Tasche und streute den Fischen Futter.
    »An das Brückengeländer gelehnt«, sagte er, und dann wartete er darauf, ob Großer-Tiger weiter wisse.
    Großer-Tiger hatte das Gedicht in der Schule gelernt, wo er es so lange aufsagen musste, bis er es nicht mehr vergessen konnte.
     Also fuhr er fort: »Harre ich auf das Kommen der Goldfische.« Mehr sagte er aber nicht, weil er wusste, dass man mit seinen
     Kenntnissen nicht prunken soll.
    »Weiter!«, ermunterte Yang.
    Doch Großer-Tiger schwieg und gab Christian verstohlen ein Zeichen.
    »Den ganzen Tag bringe ich mit erwartungsvollem Verweilen zu«, vollendete Christian.
    »Wie?«, rief Yang erstaunt und erfreut, »du weißt es auch?«
    »Das kommt«, erklärte Christian, »weil wir oft auf der Stadtmauer sitzen, und wenn wir keine wichtigen Geschäfte haben, lehrt
     mich Großer-Tiger, was er gelernt hat, und so lerne ich es auch.«
    Yang nickte nur, aber er war mit Großer-Tiger und Christian zufrieden. Sie gingen miteinander unter den Weiden entlang, undYang sagte: »Ich wartete lange auf euch, und als man mir aus Hsing-Hsing-Hsia meldete, dass Großer-Tiger und Kompass-Berg
     Knaben seien, wollte ich es kaum glauben. Jetzt sehe ich, dass der General Wu keine besseren Boten senden konnte.«
    »Wir sind ihm bloß so zugelaufen«, sagte Christian entschuldigend.
    »Wir sind seines Vertrauens unwürdig«, sagte Großer-Tiger, »wir haben uns verspätet.«
    »Keine Erwähnung deswegen«, sprach Yang, »was habt ihr mir zu sagen?«
    »Wir haben einen Brief«, teilte Christian mit, »vergebt, er ist etwas zerknittert.« Er langte in die Tasche und hob das

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