Großer-Tiger und Christian
strich er seinen Schnauzbart und sagte süß wie Honig: ›Es ist ein alter Brauch in Sinkiang, dass
die geehrten Gäste die Melonen zerteilen undihren Freunden jedem ein Stück geben. Ich bitte euch, dieses Geschäft zu übernehmen.‹ Dabei gab er Großer-Tiger und mir ein
langes Melonenmesser, und wir begannen die Melonen zu schneiden, wie man es auf der Straße von den Verkäufern beim Zuschauen
lernt. Anfangs ging es gut, aber dann nicht mehr, und wir merkten, dass die Melonen in Sinkiang anders sind als in Peking,
denn sie haben innen einen harten Kern statt Saft. Wir taten, als ob wir das wüssten, und den ersten Schnitz gaben wir dem
Marschall. Die Musik blies jedes Mal einen Tusch, bis man sah, dass in der Melone von Großer-Tiger eine Pfeife war, in die
man Wasser gibt, damit sie gut pfeift, und in meiner steckte eine Maultrommel. Als wir die Instrumente herausfischten, war
wieder ein großes Vergnügen. Der Pater Hillbrenner sagte, er wundert sich, wieso Maultrommeln in Melonen wachsen, und alle
riefen, wir müssten ein Konzert machen. Da haben wir ›Hänschen klein‹ gepfiffen und gemaultrommelt, und Wui-Hung-Wen saß auf
einem Sessel mit einer Rückenlehne, und so ist nichts passiert, und …«
»Weshalb hast du nicht weitergeschrieben?«, fragte Christians Vater, der das Tagebuch vor sich auf den Knien liegen hatte.
»Weil nichts mehr passiert ist«, entschuldigte sich Christian. »Wir sind immerzu gefahren mit Auto und mit Wagen, mit dem
Dampfer auf dem Irtisch und mit der Eisenbahn, aber wir waren immer allein, die Leute redeten russisch, und wir hatten keine
Bekannten.«
»Gerade wenn nichts passiert, soll man Tagebuch schreiben«, sagte der Vater, »so macht es der Marschall auch. Da du einmal
angefangen hast, sollst du nicht gleich aufhören.«
Also schrieb Christian auf das letzte Blatt seines Heftes:
»Gestern Abend sind wir in Peking angekommen. Es war Neumond. Meine Eltern waren am Bahnhof, und die Ama mit meiner Schwester
im Kinderwagen war auch da. Sie hatte gar keine so grässliche Angst gehabt, wie ich immer dachte, denn der General Wu war
gleich gekommen, als er Peking erobert hatte, und sagte zu ihr, sie soll nicht ängstlich sein, und niemand braucht denken,
es passiert was. Von Großer-Tiger kamen nicht bloß die Eltern und der Großvater, sondern alle Onkel, Tanten,Vettern und Basen standen hinter der Sperre. Das kam, weil wir von Mukden aus telegrafierten, wie es uns der Pater Hillbrenner
angeschafft hat. War das eine Aufregung! Meine Mutter weinte, und die Ama auch. Der Pudel hat gebellt, und die Menschen erschraken
und fragten, ob das ein Hund sei. Großer-Tiger sagte: ›Es ist einer, und er heißt Nochoi.‹ ›Was für ein niedlicher Name!‹
sagte seine Cousine, ›man merkt, dass er von weither kommt.‹ Jetzt schläft er auf einer Matte, die extra für ihn unter dem
Vordach liegt, und morgen gehen wir mit ihm spazieren, denn wir müssen einen Platz suchen, wo man Steinewerfen üben kann.
Ich weiß schon einen unter der Mauer beim Ha-Ta-Men, wo die Soldaten das Blasen lernen, aber nachmittags sind sie nicht da,
und dann üben wir, bis es geht. Die Straßen in der Stadt sind beflaggt, weil wir einen neuen Präsidenten haben, aber er heißt
nicht Yang-Tsen-Hsin. Das ist schade, sonst könnten wir ihn oft besuchen, und den General Wui-Hung-Wen auch. Auf meinem Bücherbrett
habe ich eine Ausstellung gemacht. Die Silberbarren aus der Schwarzen-Stadt liegen auf einer Seite, die Essschale des Sunit-Wang
steht auf der andern, aber in der Mitte liegt der Dolch meines Bruders Dampignak auf dem Haddak, den er mir geschenkt hat.
An der Wand hängt die Maultrommel, und den Ring von Donnerkeil trage ich am Daumen, denn auch er ist ein Bruder von mir, und
hoffentlich lebt er noch. Morgen kaufen wir Briefpapier, und dann schreiben wir einen langen Brief an Bator und Siebenstern.
Vielleicht kaufe ich auch ein neues Tagebuch.
Der Großvater von Großer-Tiger ist schon alt, und ich wollte, ich hätte auch einen, denn er hat uns den Kopf gestreichelt
und gesagt, es sei fördernd, auch in jungen Jahren was zu unternehmen. Großer-Tiger und ich finden, er hat recht.«
Fremdwörter-Verzeichnis
»Wenn es hundert Worte sind, fangen wir an zu reden, mit dreihundert unterhalten wir uns.«
A bder
Der Kasten (Namen eines Berges)
Amban
Orts-, Bezirksvorsteher
Amorchen beino?
Fühlst du dich leicht? (Mongolischer
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