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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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verwundert.
    »Ich denke mir, dass es so ist.«
    »Wenn es aber anders wäre?«
    »Dann habe ich falsch gedacht.«
    »Du musst auf dein Gesicht achtgeben«, sagte Großer-Tiger. »Mir kannst du haarklein erzählen, was du nur vom Hörensagen oder
     gar nicht weißt; aber manche Leute vertragen das nicht, und dann sagen sie: Dieser Kwi-Schan hat eine Lüge losgelassen.«
    Christian wurde ein bisschen verlegen, weil er nicht verstand, warum Großer-Tiger ein Aufhebens davon machte. Er schaute den
     Hornbläsern auf dem Klosterhügel zu, wie sie in die langen Hörner tuteten. Das dünne Ende hielten sie mit beiden Händen an
     den Mund, bliesen die Backen auf, und dann kam die Luft mit einem schauerlichen Hu-uh drei oder vier Meter weiter aus dem
     trichterartigen Ende heraus. Weil die Hörner so lang waren, lagen sie auf einem Schemel, den die Bläser vor sich stehen hatten.
     »Hu-uh« tönte es von dem Hügel, und die Sonne stieghöher. Christian dachte, dass er nun lange genug verlegen gewesen sei, und schaute, was Großer-Tiger für ein Gesicht mache.
     Da merkte er, dass Großer-Tiger viel verlegener war als er.
    »Du musst dein Herz weit machen«, sagte Großer-Tiger leise und blickte Christian an, wie er ihn anblickte, wenn er einen Freundschaftsdienst
     erwartete.
    Gleich fiel Christian ein, warum das so sei, und er wusste, was Großer-Tiger bedrückte. »Es ist gut«, begann er vorsichtig,
     »dass ich weiß, woher du den Ring mit der Schlange hast. Es bleibt also dabei: Dein Großvater hat ihn dir geschenkt.«
    »Ich musste das sagen«, entschuldigte sich Großer-Tiger, »weil alle so auf mich schauten, und da war es mir, als ob es Zeit
     wäre   …, du verstehst!«
    »Ich verstehe«, gab Christian zu, »man muss dem Tiger von hinten auf den Schwanz treten, dann hält er es für eine angenehme
     Berührung und lässt sie sich gern gefallen. Wir können Grünmantel nicht anders behandeln.«
    »Tausendfachen Dank, Kwi-Schan«, sagte Großer-Tiger; »ich fürchtete, du würdest mich für einen Lügner halten.«
    »Davon kann niemals gesprochen werden«, fiel ihm Christian ins Wort. Jetzt waren beide wieder fröhlich. Das Kloster Orte-Golen-Sum
     verschwand, und das Hu-uh der Bläser hörte man auch nicht mehr. Die Fahrt ging über eine ausgedehnte Hochfläche mit wenig
     Gras und mit vielen kleinen Steinen, die schön gleichmäßig verstreut waren wie auf den Kieswegen der kaiserlichen Gärten in
     Peking.
    »Wir wollen nachsehen«, schlug Großer-Tiger munter vor, »was in den Säcken ist.«
    »Vielleicht ist es was zu essen«, sagte Christian, und er machte den weißen Leinensack auf.
    »Bei mir«, rief Großer-Tiger, »sind runde weiße Scheiben drin mit einem geriffelten Rand, und oben ist eine Blume eingeprägt;
     es kann aber auch ein Zeichen sein.«
    »Am Ende ein Geheimzeichen!«, meinte Christian.
    »Diese Zeichen«, sagte Großer-Tiger, »sind rund und in der Mitte geteilt, also sind es Glückszeichen.«
    »Ich habe gehört, das Glück sei rund.«
    »Es ist rund wie die Sonne am Mittag«, erklärte Großer-Tiger; »allein das dauert nur einen winzigen Augenblick; die übrige
     Zeit ist das Glück geteilt, aber deshalb ist es doch schön.«
    »Bei mir«, bemerkte Christian zufrieden, »sind braune Würfel im Sack; sie riechen nach Honig.«
    »Dann kann man sie essen«, sagte Großer-Tiger.
    Beide setzten sich bequem zurecht, und während sie auf die endlose Ebene blickten, wo es keine Tiere gab, sondern bloß Steine,
     kauten sie die Würfel, die süß nach wildem Honig schmeckten.
    »Sind wir schon in der Wüste?«, fragte Großer-Tiger, »oder   …«
    »Hoppla!«, sagte Christian, und die Fässer klirrten, weil Glück plötzlich eine scharfe Kurve machte. Einen Augenblick lang
     hatten alle das erregende Gefühl von nahendem Unheil, denn der Wagen fuhr nur auf zwei Rädern, und Christian wurde blass.
     »Beinah wären wir umgefallen«, sagte er, als der Wagen wieder festen Boden hatte; »ich weiß, wie so was geht.«
    Er stand auf und schaute durch das Fensterchen; aber er sah nur den Mützenrand Glücks und die Hände, die das Steuer hielten.
    »Du musst rückwärts schauen!«, rief Großer-Tiger aufgeregt.
    »Oha!«, sagte Christian und betrachtete die Wagenspur. Sie folgte einem schmalen Kamelpfad, der wie ein weißer Strich die
     graue Kiesfläche durchschnitt. Mittendrin war ein Brunnen, aber Glück hatte ihn nicht früh genug gesehen, weil er ein wenig
     tiefer lag. Darum hatte Glück in

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