Großer-Tiger und Christian
lachend und schloss die Türe
wieder.
Jetzt löste sich aus dem Getümmel ein Reiter in blauem Mantel und mit einem fellverbrämten Seidenhut, der tief in der Stirn
saß. Er hatte wohl als einziger kein Lasso. Dafür schlang sich ein Riemen um das rechte Handgelenk, und am Ende desRiemens war ein Ledertäschchen, das mit etwas Schwerem gefüllt sein musste, denn es hing senkrecht und schwankte kaum. »Mondschein!«,
flüsterte Christian.
»Da ist keine Hilfe«, murmelte Großer-Tiger, »es ist Pfötchen.«
Der Reiter zwang sein widerstrebendes Pferd bis dicht an den Wagenschlag und klopfte mit der Zügelfaust hart an das Fenster.
»Ich bin’s«, rief er halblaut chinesisch, »mach auf!«
Glück wurde blass, aber er gehorchte mechanisch. Kaum hatte er das Fenster geöffnet, da sagte Mondschein in einem Ton, der
keine Widerrede duldete:
»Denk an dein Versprechen!«
»Ich denke daran«, antwortete Glück.
»So steig aus und mach den Wagen laufen! Schnell!«
Mondschein wartete auf keine Erwiderung. Er ließ seinem Pferd die Zügel schießen, parierte es aber sofort wieder und hielt
sich von da an in wenigen Metern Entfernung hinter dem Wagen. Christian und Großer-Tiger wurde das Herz schwer. Sie schauten
abwechselnd auf Glück und dann wieder auf Mondschein, der mit gesenktem Blick zwischen die Hinterräder des Wagens starrte
und den Lederriemen mit dem schweren Beutel daran hin- und herschwingen ließ.
Glück war bleich, aber vollkommen ruhig ausgestiegen. Beinah traumverloren ging er nach vorn, bückte sich und riss die Kurbel
herum. Sofort begann der Motor zu hämmern, der Wagen zitterte leise, und Glück ging, als ob es keinen Mondschein und keinen
Wolf gäbe, ins Führerhaus zurück. Er schloss das Fensterchen in der Rückwand, dann löste er die Bremsen und gab Gas. Der Wagen
ruckte ein paarmal, die Fässer schlugen gegeneinander, und das Jagdgeheul der Reiterhorde brauste zum Himmel. Christian und
Großer-Tiger sahen, wie das Pferd Mondscheins stieg, wie ein grauer Schatten unter dem Wagen hervorschoss und einen Augenblick
lang in den Zügeln des schlagenden Pferdes hing. Sie sahen auch den erhobenen Arm Mondscheins, und sie hörten das Sausen des
Lederriemens mit dem bleigefüllten Beutel am Ende. Aber der Schlag ging ins Leere. Der Wolf hatte in blindem Ansprung die
Zügeldurchgebissen, seine Krallen, die den Rist suchten, griffen zu kurz. Sie durchfurchten die Brust des steigenden Pferdes und
machten blutende Risse, aber dann glitten sie ab. Der Wolf fiel, rollte am Boden, kam wieder hoch, und plötzlich hing er mit
den Vorderpfoten auf dem Rand der Wagenbrüstung.
Christian und Großer-Tiger vergaßen vor Schreck zu atmen, denn gleichzeitig mit den Pfoten erschien der Kopf mit dem entblößten
Gebiss und den verzweifelt funkelnden Augen. Mit letzter Kraft versuchte der Wolf die Hinterhand hochzureißen, und Großer-Tiger
und Christian sahen entsetzt, dass ihm der Klimmzug gelingen würde. Die Schulterblätter hoben sich, und zwischen ihnen schob
sich der Kopf und die spitze Schnauze weit nach vorn. Da griff Christian ohne Besinnen nach der Kanne mit dem roten Strich
und warf dem Wolf einen ordentlichen Guss in den Rachen. Dann schloss er die Augen, und als er sie wieder öffnete, war der
Wolf verschwunden. Die sonderbare Waffe Mondscheins zischte durch die Luft; es gab einen kurzen harten Schlag, und dann brach
ein Jubelschrei aus hundert Kehlen. Glück, der noch nicht vom Fleck gekommen war, drückte auf die Hupe und wollte sich einen
Weg durch die andrängenden Reiter bahnen; aber es war unmöglich.
Während er überlegte, wie er auf gute Art schnell wegkommen könne, klopfte Mondschein wieder ans Fenster. Da nahm Glück den
Fuß vom Gashebel und stellte den Motor ab.
»Steig aus«, sagte Mondschein ernst.
Glück öffnete gehorsam die Tür, und Mondschein sprang aus dem Sattel.
Odburrung, der die ledigen Reservepferde führte, kam herbei, nahm sich des verwundeten Tieres an und sattelte für Mondschein
frisch. Die meisten Jäger saßen ab, um den toten Wolf aus der Nähe zu betrachten.
»Er hat ihm den Schädel eingeschlagen«, sagte Großer-Tiger, der mit Christian auf dem Wagen geblieben war, weil sie von da
oben die beste Aussicht auf alles hatten, was sich ereignete. »Komm einmal her«, flüsterte Christian und zupfte Großer-Tiger
am Arm. Er deutete verstohlen auf Mondschein und dann auf Glück, der die Wagentür hinter sich
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