Großstadt-Dschungel
ist?“
Ben legt den Kopf schief, als ob ihm eine schwierige Frage gestellt worden wäre. „Ja“, kommt schließlich. „Andrew.“
„Du musst schon jemanden nennen, der nicht seit deinem zweiten Lebensjahr dein bester Freund ist.“
Seit seinem zweiten Lebensjahr? Erzähl mir mehr! „Wie hast du Andrew denn mit zwei kennen gelernt?“
„Unsere Eltern sind …“, hicks, „ … Freunde.“
Oh-oh. Er fängt an zu lallen. Ist das auf meinem Rücken eine Hand? Ist das auf meinem Rücken
seine
Hand? Ist das, was meinen Rücken weiter und weiter nach unten fährt, seine Hand?
„Wo
ist
Andrew?“ frage ich und versuche mich seiner Hand zu entziehen.
„Weiß nich“, sagt Ben leicht schwankend. „Ich hab Jess gesehen. Denke, sie sind verschwunden.“
„Wer ist Jess?“ erkundigt sich Natalie mit plötzlich erwachtem Interesse.
„Seine nette Freundin.“
Jessica, der Zwilling aus Sweet Valley. Bedeutet nette Freundin richtige Freundin? Beinahe richtige Freundin? Freundin im Bett?
Bens Hand ist jetzt auf meinem Hintern. Ich sage Natalie, dass es Zeit ist zu gehen.
Fünfundvierzig Minuten später bin ich zu Hause und finde Sam wie in Trance auf dem Sofa sitzen. Im Fernsehen läuft ein Teil der Serie „Beautiful Bride“.
„Hallo“, rufe ich. „Lebst du noch?“
Sie murmelt so etwas wie eine Antwort.
Ich streife mir die elenden Stiefel ab. „Haben wir was zu essen?“
„Müsli.“
Das muss reichen. Ich kippe eine geringe Menge in eine Schale und gieße Milch dazu. Müsli wird gemeinhin sehr unterschätzt. Warum sollte man es nur morgens essen? Es schmeckt gut, ist fettarm, und zusammen mit der Milch deckt es zwei wesentliche Ernährungsbereiche ab. Der Trick besteht allein darin, es im richtigen Moment zu essen, wenn das Müsli noch nicht zu pappig ist.
Ich krabbele zu ihr auf die Couch. „Was ist passiert?“
„Ich hasse ihn.“
Was ist das denn? Ärger in Sammy-Land? Oh-oh, da kommen schon die Tränen. „Schieß los“, ermuntere ich sie und greife nach einem Taschentuch auf dem Tisch. „Dafür sind Mitbewohnerinnen da. Um sich die Beschwerden über die Freunde anzuhören.“ Es ist egal, dass ich gerade zwischen zwei Freunden stehe (leider nicht buchstäblich) und dass ich keinen habe, über den ich mich beschweren könnte.
Dabei fällt mir auf, dass Sam nie eine andere Freundin erwähnt hat. „Mit wem sprichst du normalerweise, wenn du Kummer mit Marc hast?“
„Was meinst du? Ich spreche mit Marc.“
Wow. Das Mädel hier braucht dringend eine Freundinnen-Therapie. „Mit sonst niemandem?“
„Mit meiner Mutter.“
Gute Güte. „Seitdem du mit Marc zusammen bist, hast du keine Freundin mehr? Wirklich? Seit wann genau?“
„Fünf Jahre.“ Sie starrt noch immer auf den Fernseher. Eine Brünette lässt gerade ihr entsetzlich hässliches Kleid kürzen. „Natalie ist meine Freundin.“
„Und das letzte Mal, das du mit Natalie gesprochen hast, ist wie lange her …“
Sam sieht mich plötzlich erschrocken an. „Du hast Recht. Du hast hundertprozentig Recht. Ich habe keine Freundinnen, und ich habe einen Freund, der mich nicht heiraten will.“
Dich heiraten? Wer redet denn von heiraten?
„Ich bin schon fünfundzwanzig und damit bald eine alte Jungfer.“
„Ich habe gute Nachrichten für dich: Solange es ihnen nicht gelingt, das Hymen nachzubauen, kannst du gar keine alte Jungfer mehr werden. Außerdem bist du näher an einer Ehe dran als jede andere, die ich kenne.“
„Meine Mutter hat mich mit vierundzwanzig bekommen. Da war sie ein ganzes Jahr jünger, als ich jetzt bin! Sie hat mit einundzwanzig geheiratet.“
„Ja, genau wie meine, und sieh dir an, wie gut das geklappt hat.“
Sam faselt weiter, als hätte sie kein Wort von dem verstanden, was ich gerade gesagt habe. „Siehst du’s denn nicht? Ich werde mit Marc zusammen sein, bis ich neunundzwanzig bin, und er wird mich immer noch nicht heiraten wollen, und meine biologische Uhr tickt, und ich werde Schluss machen müssen, und kein anderer will mich mehr.“
Biologische Uhr? Ich habe ja noch nicht mal eine vernünftige normale. Diese Art von Gegenstand kommt in meinem System nicht vor.
„Also, erst mal hörst du auf, ‚Beautiful Bride‘ zu gucken.“ Ich schalte den Fernseher aus. „Zum Zweiten gibst du mir die Kurzfassung eurer Beziehung, damit ich dein Problem verstehen kann. Von Anfang an. Wie ihr euch getroffen habt.“
„Okay.“ Schluchzen. „Ich habe Marc in der Bibliothek kennen gelernt.
Weitere Kostenlose Bücher