Großstadt-Dschungel
bestrafst deine Schüler aber nicht, oder?“
„Normalerweise nicht. Die Mädchen sind recht gut. Den Jungs fehlt’s manchmal an Benehmen. Aber ich weiß, wie man mit frechen Kids umgeht.“
Hat er ein Handy in der Hosentasche, oder findet er sie wirklich so scharf? Hm. Vielleicht hat es am Ende mit diesen Schlägen auf den Hintern zu tun.
Im Aufzug erkundigt sich Braucht-eine-Rasur, wann sie uns wieder treffen können.
„Das ist leider nicht möglich“, antwortet Sam zur Überraschung aller. „Aber es war schön, euch kennen gelernt zu haben.“ Sie küsst beide auf die Wange.
Hallo? Habe ich was verpasst? „Wolltest du sie wirklich nicht wieder sehen?“ frage ich, als wir außer Reichweite sind.
„Vergiss es. Sie haben uns noch nicht mal einen Drink angeboten.“ Sam fährt mit der Hand durch die Luft, als wolle sie lästige Fliegen verscheuchen.
„Aber wir haben auch nicht gesagt, dass wir welche wollen“, protestiere ich.
„Geizhälse“, sagt Sam, und Nat nickt.
„Außerdem“, fährt sie fort, „wie tief gesunken muss man eigentlich sein, um Frauen in einer Bar nachzustellen?“
Eine Viertelstunde später lässt Natalie uns vor unserem Haus raus, und als ich den Schlüssel im Schloss umdrehe, fragt Sam: „Rate mal, was wir morgen machen?“
„Ausschlafen?“
„Genau. Und danach lassen wir uns den Bauchnabel piercen.“
Diese Samantha macht mir langsam Angst.
10. KAPITEL
F ünfzig Mäuse für ein ganz neues Selbst
Natalie erzählt uns, dass ihre gepiercten Freundinnen es sich auf der Wellington Street haben machen lassen.
„Vielleicht sollten wir uns nach dem genauen Namen er-kundigen“, schlage ich vor, als wir durch die dreckigen Scheiben eines Second-Hand-Ladens schauen.
„Wenn wir jetzt zögern, machen wir’s nie“, entgegnet Sam. „Wir haben keine Zeit für intensive Recherchen.“
„Ich sage ja gar nicht intensiv. Oberflächlich reicht.“
„Lass es uns hier versuchen“, sagt sie, und ich folge ihr in einen Laden namens Spider. Die vibrierenden Geräusche der Tattoo-Maschine geben mir das Gefühl, in einer Folterkammer des 16. Jahrhunderts zu sein.
Sam fragt den erschreckend alternativ aussehenden Mann am Schreibtisch, ob wir uns hier den Nabel piercen lassen können.
„No inglés“
, gibt er zu verstehen.
„Ich glaube, die Chancen, dass man uns das falsche Körperteil pierct, stehen an diesem Ort alarmierend hoch“, flüstere ich mit vor Schwindel gelähmter Stimme.
Sam bedankt sich bei dem Mann – nicht dass er es verstünde –, und wir huschen wieder auf die Straße.
Etwas weiter den Block runter entdecken wir ein Schild im Fenster: „Experten in ausgefallenem Körperschmuck“ sowie „Der gute Ruf besteht zu Recht“. In der Hoffnung, der gute Ruf kursiert nicht nur unter Bettlern, betreten wir den Laden.
Der, ich übernehme die Bezeichnung mal, Experte sieht ein bisschen wild aus, voll mit Insektentattoos und, soweit ich sehen kann, neunzehn Piercings. Ich vermute, zehn müssen es mindestens sein, um hier arbeiten zu dürfen. Er überzeugt uns davon, dass ein schöner Nabelring schon seine fünfzig Dollar wert ist.
Als verantwortungsbewusste Jahrtausendfreundin erkundige ich mich nach den hygienischen Bedingungen.
„Ich ziehe immer frische Gummihandschuhe an und arbeite ausschließlich mit Einwegnadeln.“ Das ist gut, denke ich. Einwegnadeln. Halt … Nadeln? Was denn für Nadeln? Was ist denn aus der guten alten Pistole geworden? Als ich damals Ohrringe bekommen habe, hielten zwei Frauen jeweils eine Pistole an mein Ohrläppchen, und nach einer kurzen, donnernden Explosion war alles vorbei.
„Wärt ihr wohl so freundlich, diese Verzichtserklärung auszufüllen?“ fragt er nonchalant. Erklärung? Was für eine Erklärung? Warum muss ich eine Verzichtserklärung unterschreiben? Ich lese: „ … Für den unwahrscheinlichen Fall starker Blutungen, bleibender Narben oder Bewusstlosigkeit …“ Bewusstlosigkeit?
Irgendwie ist entschieden, dass ich zuerst ran soll, vermutlich weil Samantha eher wie eine Mir-ist-schlecht-Sam aussieht. Glückspilz Jack! Ich setze mich in den großen Lehnstuhl, und ohne weiter ins Detail gehen zu wollen, erzähle ich Samantha, dass es nur eine Sekunde weh tut.
Sie ist dran.
Schreie vom Stuhl.
Ich habe gelogen.
Die Reaktion, 1. Akt
Natalie: Ihr habt es echt gemacht?
Ich: Ja. Und jetzt kann ich nie wieder Hosen tragen, fürchte ich.
Natalie: Vielleicht lasse ich mir auch eins machen.
Ich: Das solltest
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