Großstadt-Dschungel
Punkt. Er will mich beeindrucken. Obwohl es auch schlicht Faulheit bedeuten könnte.
Es sieht so aus, als ob das Museum an Samstagen Ausgehtipp Nummer eins ist. Wer hätte das gedacht? Scheint so, als sei Kultur in. Er zahlt für die Tickets (mein vorgetäuschtes Ich-greife-in-meine-Tasche-Manöver wird mit einem „Sei nicht albern, ich habe dich eingeladen, und es ist mir ein Vergnügen“ beantwortet). Yeah! Noch ein Punkt für Timmy!
Sobald wir in der hohen, weiß gestrichenen, leicht einschüchternden Ausstellungshalle stehen, fragt uns ein Helen-die-Lektorin-Verschnitt, ob wir Kopfhörer möchten. Sie kosten nichts extra, aber die geklonte Helen macht sehr deutlich, dass eine Spende fürs Museum willkommen wäre.
„Ich hole welche“, sage ich und reiche ihr vier Dollar. Das ist meine finanzielle Revanche. Oder, so denke ich nunmehr, eine Investition in meine Zukunft. Als ich mir aber die Kopfhörer aufsetze, werde ich mir meines traurigen Fehlers bewusst: Wie soll ich Tim denn kennen lernen, wenn wir uns nicht unterhalten können?
Zu spät. Eine schnarrende Stimme vom Band befiehlt mir bereits, das Bild zu meiner Rechten anzusehen. Tim steht konzentriert neben mir. Ich winke. Er winkt zurück. Ich bin ganz offiziell ein Idiot.
Ich hätte nach einem Set fragen sollen, dass wir uns dann hätten teilen können – quasi die moderne Fassung von einem Milchshake mit zwei Strohhalmen.
Mitgefangen, mitgehangen. Wir schauen uns ein paar abstrakte Gemälde an, alte Meister ebenfalls, einen Renoir, noch mehr Impressionisten. Und dann sehe ich es. Ein Bild des französischen Malers Paul Gaugin mit dem Titel „Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?“ Nun, das sind exzellente Fragen. Woher komme ich? Das weiß ich: aus Danbury. Aber wer bin ich? Wohin gehe ich? Diese Fragen verwirren mich. Das Ölgemälde zeigt eine Gruppe von, wie ich tippe, tahitianischen Ureinwohnern (die Stimme vom Band erklärt mir, dass Gaugin auf der Suche nach ursprünglichen Gesellschaftsformen nach Tahiti reiste, den Rest reime ich mir zusammen). Dieses Bild will ich unbedingt haben. Oder wenigstens einen Druck davon. Ich muss einfach die Möglichkeit haben, es jeden Tag anzusehen. Irgendwie beruhigt es mich zu wissen, dass tahitianische Eingeborene in grundlegenden Dingen ebenfalls verwirrt sind.
Eine Stunde später haben wir unseren Rundgang beendet und geben die Kopfhörer wieder ab. „Hast du was dagegen, wenn wir noch mal in den Museumsshop gehen?“ frage ich. „Ich muss dieses Bild von Gaugin haben.“
Mein Glück, der Shop ist zu.
„Hast du Lust auf einen Drink?“ Ich zeige in Richtung der Cafeteria.
„Ehrlich gesagt“, gibt Tim zurück, „ich muss nach Hause, wenn es dir nichts ausmacht. Ich muss meine Großmutter morgen früh zum Flughafen bringen. Vielleicht können wir uns nächste Woche wieder sehen.“
O mein Gott. Das ist die brüskeste Abfuhr, die ich je bekommen habe. Warum muss er seine Großmutter mit seinen dreckigen Lügen beschmutzen? Welcher Mann sagt Nein zu einem Drink? Dann ist er eben ein bisschen müde morgen früh. Ich habe mein halbes Leben in einer Art Koma verbracht. Na und? „Sicher“, sage ich. „Wie du meinst.“ Warum hat er kein Interesse? Bin ich nicht … was? Gut aussehend genug? Gewitzt genug? Hör mal, Mister, du bist ganz süß, aber du explodierst auch nicht gerade vor Charisma.
Wieder in Grandpops Gefährt (er hat es vermutlich Grandma geklaut und sie dann an der Straßenecke stehen lassen), überlege ich, dass ich nun, da er ganz offensichtlich kein Interesse hat, auch taktlos sein und ihn nach seinem Job fragen kann.
„Ich bin Sozialarbeiter an einer High School“, sagt er.
Hm. Das ist sympathisch.
„Und warum musst du dann so früh aufstehen? Geht der Unterricht schon um sechs los?“
„Nein, ich gehe joggen und helfe dann den Schülern ehrenamtlich, das Jahrbuch vorzubereiten.“
„Ich war auch einer der Redakteure für das Jahrbuch an unserer High School“, erzähle ich. Wendy und ich hatten beschlossen, es zusammen zu machen. Aber wir haben uns nie vor dem Unterricht getroffen. Im Gegenteil, wir haben versucht, so viele Sitzungen wie möglich in die Schulzeit zu legen. Und ganz bestimmt hatten wir keinen ehrenamtlichen Helfer, der aussah wie Tim. „Willst du dich irgendwann mal selbstständig machen?“
„Schon möglich. Im Moment bin ich noch damit beschäftigt, auf diese Weise viele Schüler auch wirklich richtig anzufassen.“
Wenn jemand
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