Großstadtvampire (German Edition)
habe schon Franz Biberkopf, der Held aus Berlin Alexanderplatz , seine Abende verbracht. Auch die Münzklause litt unter dem von der Vampirhysterie ausgelösten Besucherschwund. Der Raum am Eingang, der im Wesentlichen aus einer langgezogenen Theke bestand, war vollkommen leer. Nur der Barmann, zugleich die einzige Bedienung in dem übersichtlichen Laden, stand gelangweilt hinterm Tresen, rauchte und las in einer Zeitung.
Im hinteren, größeren Gastraum war nur einer der vier Tische besetzt. Dort saß Caroline zusammen mit drei Studenten, die mehr am Nachtleben als an ihrem Studium interessiert waren, seit sie aus der Provinz in die Hauptstadt gezogen waren. Auf dem Tisch standen drei Wodkaflaschen, von denen zwei bereits geleert waren. Zwei der Studenten hatten schon aufgegeben und während der eine am Tisch eingeschlafen war, hielt sich der andere an der Tischkante fest und versuchte, nicht ohnmächtig zu werden.
"Trinken wir noch einen?", wollte Caroline wissen. Tim, der einzige ihrer Trinkkumpane, der noch halbwegs bei Besinnung war, schaute sie mit glasigen Augen an.
"Wieso nicht", gab er lallend zur Antwort. Wollen wir mal sehen, ob du mich unter den Tisch trinkst, dachte er dabei. Im heimatlichen Meiningen galt er als äußerst trinkfest und bis jetzt hatte es noch kein Mädchen geschafft, mehr zu trinken als er. Und so sollte es auch bleiben. Er schlug mit seinem leeren Schnapsglas auffordernd auf den Holztisch.
"Schenk ein!" Caroline ließ sich das nicht zwei Mal sagen und goss sein Glas bis oben hin mit Wodka voll. Als sie die Flasche dem Studenten, der gerade noch mit der Ohnmacht gekämpft hatte, hinhielt, bemerkte sie, dass der den Kampf mittlerweile aufgegeben hatte und auf dem Stuhl mit nach hinten gekippten Kopf eingeschlafen war und lauthals schnarchte. Weichei, dachte sie und goss ihr eigenes Glas ebenfalls bis obenhin voll.
Sie hatte bereits eine Flasche fast alleine geleert, aber sie spürte den Alkohol überhaupt nicht. Was war nur los mit ihr? Irgendetwas stimmte nicht. Alles schien ihr wie ein schlechter Traum. Wirklichkeit und Fantasie schienen ineinander zu verschwimmen. Nur ihre Wut und Enttäuschung über Johannes waren nach wie vor klar und deutlich. Alles andere, was folgte schien wie unter einem Nebel, als ob sie die falschen Drogen genommen hätte. Sie erinnerte sich noch an diesen Typen mit dem Umhang in der Tordurchfahrt. Mit ihm begannen die Aussetzer. Danach war ihr kalt gewesen und ein Gefühl fürchterlicher Einsamkeit hatte sie befallen, dann war Johannes aufgetaucht und sie hatte sich gefreut. Doch er hatte ihr Schmerzen zugefügt. Glaubte sie zumindest sich erinnern zu können. Oder war es nur ein Traum gewesen? Nein, dafür hatten sich die Schmerzen zu echt angefühlt. Aber was dann passiert war, konnte sie nicht mehr sagen. Sie musste wohl das Bewusstsein verloren haben. Auf jeden Fall war sie in einer Schublade aufgewacht. Zumindest glaubte sie das.
Das muss ein Traum gewesen sein, beschloss sie. Und alles war so hell gewesen und sie war geblendet durch die Straßen geirrt, bis es wieder dunkel geworden war und sie sich auf diesem komischen Hinterhof wiedergefunden hatte. Dort hatte sie sich irgendwie wohl, aber auch unendlich traurig gefühlt. Wie auf einer Beerdigung. Als ob sie von jemanden Abschied nehmen wollte. Es musste ein Traum gewesen sein. Es machte einfach alles keinen Sinn. Schuld daran war nur Johannes, dieser Idiot. Wäre er nicht so verklemmt gewesen, hätten sie eine schöne Nacht gehabt und alles wäre anders gelaufen.
"Worauf trinken wir?", wollte Timm wissen und hielt ihr sein Glas entgegen.
"Keine Ahnung", antwortete Caroline und war froh, dass Timm sie aus ihrer Gedankenwelt zurückgeholt hatte.
"Auf die Frauen", lallte Timm.
"Ne. Das ist mir zu doof", entgegnete Caroline. "Ich trink doch nicht auf mich selber."
"Dann lass dir doch was einfallen", sagte Timm, der gleichzeitig bemerkte, dass sein Hirn anfing auszusetzen. Vielleicht hatte er endlich die Frau getroffen, die mehr trinken konnte. Er war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte.
"Auf das Leben", rief Caroline aus. Sie wusste auch nicht so recht, wieso ihr dieser abgedroschene Spruch in den Sinn gekommen war. Aber irgendwie war ihr gerade danach. Sie hatte plötzlich ein unbändiges Verlangen nach Leben.
"Meinetwegen. Auf das Leben!" Timm stieß sein Glas gegen das ihre.
"Auf das Leben!", wiederholte sie.
"Caroline!"
Caroline fuhr erschrocken herum.
Weitere Kostenlose Bücher