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Großvater 02 - und die Schmuggler

Großvater 02 - und die Schmuggler

Titel: Großvater 02 - und die Schmuggler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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blind, hatte Großvater erklärt.
    »Großvater«, hatte Marcus da gesagt, »wie alt bist du?«
    Und Großvater hatte geantwortet: »Fünfundsiebzig.« Da hatte Marcus, der neun war und gut im Rechnen, gefragt, wie alt Großvater wäre, wenn er Hund wäre. »Ich weiß nicht«, hatte Großvater gesagt, »ich bin ja kein Hund.« Aber Marcus hatte stumm vor sich hin gerechnet und gesagt: »Du wärst gut zehn Jahre alt, wenn du Hund wärst! Und dann hast du noch sieben Hundejahre vor dir, bevor du blind wirst!«
    »Ich bin kein Hund!«, hatte Großvater noch einmal gesagt, aber nicht sauer, eher wie ein kluger alter Dorfschullehrer. Manchmal hatte er diesen komischen Tonfall seiner Mutter, die Lehrerin in einem kleinen Dorf tief im Wald in Norrland gewesen war. Sie hatte belehrend und verstehend gesprochen. Und deshalb war Großvater so geworden. Als ob alle, mit denen er sprach, belehrt werden müssten. Auf jeden Fall hatte er zu Marcus gesagt: »Ich bin nicht blind! Und ich sehe wie ein Adler!«
    »Ja, aber fünfundsiebzig Menschenjahre, bist du nicht trotz allem ein bisschen halb blind?«, hatte Marcus beharrlich nachgefragt, aber da hatte Großvater eine Zeitung genommen und einen Meter von sich weggehalten und gelesen: »Zlatan Ibrahimovicz erzielt Hattrick!«
    Das bewies natürlich gar nichts.
    Aber Mischa machte ihnen Kummer.
    Marcus war der Erste, der bemerkte, dass die schöne Hündin anfing, gegen die Wand zu laufen . Sie kam mit niedriger Fahrt angestolpert, vielleicht zwei Knoten in der Woche, wie Marcus meinte, und sah nicht, dass eine Wand im Weg war, und – pang! – knallte sie gegen die Wand und stand völlig verdattert da. Dann drehte sie sich um, ganz langsam, und mühte sich weiter, bis sie zur nächsten Wand kam. Und pang, mit dem Kopf gegen die Wand! Und dann stand sie ganz still da und machte ein fragendes Gesicht.
    Aber es sollte noch schlimmer kommen.
    Es war, als trügen ihre Beine sie nicht mehr. Wenn sie am Morgen aufwachte und Marcus oder Mina oder Moa oder Cissi ihr zu fressen geben wollten, schaffte sie es kaum aufzustehen. Lag nur da und sah melancholisch aus. Dann stellte sie sich langsam auf und zitterte am ganzen Körper, und man sah, dass sie Schmerzen hatte. Und es half auch nicht, wenn Marcus sich neben sie setzte und ihr übers Fell strich.
    »Es geht ihr nicht gut«, sagte Großvater. »Man darf sich nichts vormachen. Sie ist zu alt. Erst wird man alt, dann wird man zu alt. Verstehst du?«
    »Was passiert dann?«
    »Dann läuft man pang gegen die Wand. Und dann war’s das.«
    »Ist es mit dir genauso?«
    Aber darauf hatte Großvater nicht geantwortet; er fand wohl, dass das unnötig sei, oder er wusste nicht, was er sagen sollte. Aber in jenem Sommer 2005 begannen alle Enkelkinder zu verstehen, dass Mischa bald sterben musste.
    Im Logbuch steht allerdings fast nichts darüber.
    Es ist nicht leicht, über gewisse Dinge zu schreiben, besonders in einem Logbuch.
    »Wer kommt mit zum Tierarzt?«, hatte Großvater gefragt. »Es ist hart mitzukommen, aber ich will, dass einer von euch es tut.«
    Es wurde ganz still im Zimmer, und die Kinder saßen in einem Kreis auf dem Fußboden, und Moa fing an zu weinen, aber die anderen versuchten, sich zu beherrschen.
    »Wer kommt mit?«, fragte Großvater noch einmal, und Cissi guckte an die Decke und hätte am liebsten getan, was Moa tat, aber Cissi war ja jetzt groß und ging mit einem rothaarigen Neunzehnjährigen.
    »Wer will mitkommen?« Großvater ließ nicht locker. »Cissi? Nein. Moa? Mina? Nein. Gabriel? Nein, du bist ja erst sieben, das will ich nicht, du bist noch zu klein.«
    Es wurde vollkommen still bei den Kindern.
    »Marcus? Kommst du mit und gibst Mischa die letzte Spritze? Beim Doktor? Machst du es?«
    »Ich komme mit, Großvater«, sagte Marcus. »Wenn Mischa es will, mache ich es.«
    »Ich glaube, dass Mischa es will«, sagte Großvater.
    Und so kam es, dass Marcus mitging damals, als Mischa im Sterben lag. So fing die Geschichte eigentlich an.
    3. In der Nacht, bevor Mischa sterben sollte, konnte Marcus nur schwer einschlafen.
    Er träumte davon, dass er Mischa besuchte, die in einem Bett im Krankenhaus lag. Und Mischa sagte, im Traum also, aber es war ganz deutlich, dass sie es sagte: Marcus, mein Lieber, ich habe solche Schmerzen im ganzen Körper, dass ich glaube, jetzt ist es an der Zeit zu sterben .
    Es hörte sich beinahe schrecklich an.
    Aber was mache ich dann? , hatte Marcus im Traum gesagt. Was willst du, dass ich

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