Grote, P
Das waren bei der kollektiv organisierten Produktion nicht allzu viele, aber es gab über eine Million Weinbauern. Von denen kannte ich einige, sie kamen und fragten mich um Rat. Und ich kannte die Kollegen, die linientreuen und die Spitzel, diejenigen, die abgehauen sind, die aufgegeben haben, und die Verzweifelten. Unter denen gab es einen Deutschstämmigen, an seinen Namen erinnere ich mich nicht, der hat sich lange gegen die Kollektivierung gewehrt, ich glaube, weil er ein Kommunist war. Er war Kommunist, moskautreu, und er war im Gefängnis, aber er war zu gut, als dass Ceauşescu ihn drinnen hätte verschimmeln lassen. Diktaturen sind am gefährlichsten, wenn sie beweglich sind.«
Die Gedanken des Professors über Diktaturen waren Martin nicht so wichtig, er musste ihn schneller zum Punkt bringen, um den es ihm ging. »Dieser Mann war Winzer?«
»Einer der Besten, würde ich sagen, eigentlich war er Kellermeister, Önologen gab es damals noch nicht, ein Siebenbürger Sachse, er hat später hier in der Gegend gelebt, Anfang der Siebziger ... Er hat zuvor in Blaj gearbeitet, das liegt bei Jidvei, auf einem Weingut. Eines Tages war dann seine Familie weg, verschwunden, und er ist hierhergekommen, ganz in die Nähe. Es gibt zwanzig Kilometer von hier ein Lokal, ziemlich edel, wenn man so will, nichts für ein Professorengehalt. Da finden Sie die neuen Reichen. Nebenan ist das Weingut. Ob es zum Restaurant gehört, weiß ich nicht, aber da soll der Zodiac hergekommen sein, und dieser Deutsche soll ihn gemacht haben.«
»Erinnern Sie sich an seinen Namen?«
Der Professor schaute ins Leere, der Blick durchmaß den Raum und die Zeit und traf etwas irgendwo in der Vergangenheit. »Werner, glaube ich, Werner, es könnte sein Vor- oder auch der Nachname gewesen sein.«
»Wem gehört das Weingut heute?«
»Da bin ich überfragt. Früher war es staatlich, heute ist eseine rumänische Firma, aber wem sie wirklich gehört?« Professor Vasile Manoilescu verzog den Mund. »Keine Ahnung, dahinter stehen ausländische Investoren, wie überall . . .«
»Gehen Sie jetzt nur noch eigene Wege?« Simion oder Simionescu, wie Martin inzwischen versucht war zu sagen, war beleidigt, als er gegen Mittag ins Hotel kam. »Ihr Mobiltelefon haben Sie auch abgeschaltet. Ich will das Hotel wechseln. Ich habe eines entdeckt, das kleiner ist, billiger und schöner, mit Garten, eine Villengegend am Stadtrand, aber nicht weit weg, für Sie habe ich vorsichtshalber auch gleich ein Zimmer reserviert.«
»Ist ja reizend, dass Sie für mich entscheiden.«
»Das tun Sie auch, indem Sie mich warten lassen. Sie verfügen über meine Zeit. Vorgestern lassen Sie mich in dieser zwielichtigen Bar allein, gestern verschwinden Sie heimlich, und heute Morgen waren Sie weg, als ich zum Frühstück kam. Wenn Sie mich nicht haben wollen, dann sagen Sie’s. Bislang sind wir doch sehr gut miteinander gefahren, oder nicht?«
Wenn du weiter nervst, dachte Martin, störst du mich. »Ich war bei einem Wissenschaftler, es ging nur um Chemie, um technische Details wie Bodenbeschaffenheit, wie sich der Lehmanteil auswirkt und dass hier mehr Kalk, Mergel und Löss vorkommen. Wir sprachen über die Struktur des Bodens, seine Dichte und ihre Messbarkeit, die Durchlässigkeit, sie ist ganz entscheidend ... Wurzeln stehen nicht gern im Wasser. Sagen Sie bloß nicht, dass Sie sich dafür interessieren.«
»Okay, bleiben Sie entspannt. Wollen Sie sich das neue Hotel nicht wenigstens mal ansehen?«
»Gern«, antwortete Martin, dem das Gehabe der vermeintlichen Entscheidungsträger in der Lobby auf den Wecker ging. Die wirklichen Mächtigen blieben sowieso imDunkeln. »Am Nachmittag möchte ich Sie allerdings zu einem Franzosen mitnehmen, von dessen Weinen man nur Gutes hört.«
Graf Guy war einer jener Franzosen, deretwegen Martin sich entschieden hatte, in Frankreich zu bleiben und dort seine Weine anzubauen. Der Graf war unkompliziert, offen, in keiner Weise auf seine Herkunft oder den Titel eingebildet, er sprach mit seinen Angestellten im Büro von Mensch zu Mensch, wie auch mit den Weinbergsarbeitern, und er packte an. Martin betrachtete seine Hände und erinnerte sich, wie Ana Cristina beim Anblick seiner rissigen Hände Zweifel an seiner wahren Identität gekommen waren. Auch Simion hatte es bemerkt.
Vor vierzehn Jahren war der Graf nach Rumänien gekommen und hatte die SERVE gegründet. Er hatte genügend Zeit, Nerven und vor allem Geld gehabt,
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