Grote, P
Studenten mir zuhören, tippen sie auf ihren Mobiltelefonen herum, schicken sich eine SMS nach der anderen und warten darauf, dass die Vorlesung vorbeigeht. Sie wollen keinen Beruf ausüben, sie wollen weder Kellermeister noch Önologen werden, weder Lebensmittelchemiker noch Winzer. Sie wollen Karriere als Consultant machen. Oh, Entschuldigung, ich vergaß, dass Sie auch einer sind . . .«
»Macht nichts.« Martin fühlte sich nicht angesprochen. Er hätte dem Professor lieber reinen Wein über sich selbst eingeschenkt, aber mittlerweile hütete er sich, auch nur in die Nähe irgendeiner Vertraulichkeit zu kommen. Sich zuverstellen erforderte täglich größere Opfer. Und die Angst nahm zu. Gleichzeitig wurde es ihm unheimlich, dass ihm das Lügen zur Gewohnheit wurde. Er freundete sich zwar nicht mit seiner zeitweiligen Identität an, aber er war zu einer einigermaßen friedlichen Koexistenz übergegangen. Dass es so weit kommen würde, dass sich Doktor Jekyll vor Mister Hyde fürchten musste, glaubte er nicht.
»Wenn Sie hier investieren, Monsieur Bongers, dann bringen Sie Ihre Arbeitskräfte besser mit, zumindest die qualifizierten. Die Lücke zwischen den Anforderungen des modernen Weinbaus und dem, was unser Projekt leisten kann, weitet sich. Man lässt uns ausbluten. Das Erziehungsministerium, es ist für uns zuständig, verhandelt mit dem Weinbauverband und tut, was der will. Wir spielen keine Rolle mehr. Der Staat zieht sich überall zurück, einerseits halte ich das für richtig, andererseits finanziert die Wirtschaft die Ausbildung ihres Nachwuchses nicht. Und wir bluten noch auf andere Weise aus: Gestern erst hatten wir ein Gespräch mit Vertretern von Weingütern hier aus unserer Nähe, die unsere Weinberge übernehmen wollen. So nennen sie das jetzt: übernehmen. Ich nenne es eine Enteignung des Staates durch die Privatwirtschaft. In der Regierung hält wieder jemand die Hand auf, aber das bleibt unter uns! Oder zahlen Ihre Auftraggeber auch sogenannte Kommissionen? Sagen Sie es gleich, dann beenden wir das Gespräch sofort!«
Martin zweifelte nicht daran, dass es dem Professor ernst war. Er machte eine Pause, als wolle er Martin die Möglichkeit zum Bekenntnis geben, aber ob die SISA Schmiergeld zahlte, wusste Martin nicht. Er nahm es an. Coulange jedenfalls würde schon gern über die Höhe möglicher Kommissionen informiert werden.
Professor Vasile Manoilescu gab sich mit Martins Schweigen zufrieden. »Uns nimmt man auf diese Weise die Möglichkeiten zur Forschung, zu Entwicklung und Ausbildung – aber das ist gewollt. Die Politiker handeln ausschließlich alsHandlanger der Konzerne oder auch aus eigenem Interesse.«
»Gestern, sagen Sie?«
»Was? Gestern? Das Treffen? Ja, korrekt, am späten Nachmittag. Gut, dass Sie nicht gekommen sind, ich hätte sowieso keine Zeit für Sie gehabt.«
»War da ein Herr Harms dabei, ein Deutscher, Elmar Harms? Er ist groß, blond, kurzes Haar, Brille, ein extrem schmales Gesicht . . .«
»Jemand, auf den diese Beschreibung zutrifft, war dabei«, meinte der Professor nach kurzem Nachdenken, »aber niemand mit diesem Namen. Aber an Namen erinnere ich mich sowieso nicht, das habe ich noch nie gekonnt. Harms? Kennen Sie den Herrn? Der Blonde hieß anders, der hieß – warten Sie mal . . .« Er kramte in der Schreibtischschublade. »Hier, doch, Sándor Paladina.« Er schob Martin die Karte zu. Kennen Sie ihn?«
»Ich habe ihn in Constanţa getroffen, unter anderem Namen.« Martin betrachtete die Telefonnummern auf der Karte. Es war keine aus Deutschland darunter.
»Tatsächlich? Das wundert mich nicht. Ein unangenehmer Mensch, laut und hochfahrend, als hätte er zu bestimmen. Er gab sich als Vertreter eines Weingutes aus, das seine Fläche vergrößern will. Merkwürdig, ein Deutscher, der unsere Sprache spricht, als wäre er hier geboren – ein Siebenbürger Sachse? Aber deshalb sind Sie nicht gekommen. Sie wollen etwas über einen Wein namens Zodiac wissen, wie man mir sagte. Und ich kann Ihnen etwas dazu sagen.«
Das war es, endlich, Martin glaubte sich am Ziel seiner Wünsche, er lauerte geradezu auf das, was der Professor wusste. Nur mit dem Hochgefühl, wie er es gestern erlebt hatte, war er vorsichtig. Nach außen bemühte er sich um Gelassenheit, doch wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, hatte ihn die Suche nach dem Zodiac durch Rumänien getrieben und weniger die Erfüllung seines Auftrags.
»Ich kannte fast alle Weingüter dieses Landes.
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